Lehmann, Christine
Koreanern zu Dumpingpreisen anbieten.«
»Außer den Chinesen, Indern und Koreanern.«
»So ist die Welt, Lisa. Wer investiert, muss nach G e winn trachten. Davon profitierst du auch, jeden Tag!« Missmutig musterte er die auf Staffeleien gestellten Zeichnungen von George Clooney und unbekannter Mädchen. Der Zeichner richtete sich hoffnungsvoll auf.
»Hast du nicht kürzlich erst darüber geseufzt«, stiche l te ich, »dass dein Freund Gunter Maucher …«
»Er ist nicht mein Freund!«
»… sich nicht ums Außenhandelsgesetz kümmert und Weltraumtechnik und Kriegstechnik untrennbar mitein a n der verbunden seien?«
Richard wandte sich von den Zeichnungen ab und e r löste den Zeichner von der hoffnungsvollen Angst, er werde mein Narbengesicht schönfärben müssen. »Ich bin nur ein kleiner irdischer Staatsanwalt, Lisa. Verändern kann ich die Welt nicht. Ich kann nur juristische Klarheit schaffen.«
Ich lachte.
Was war mir anderes übrig geblieben? Verdruckt vol l zogen sich Richards innere Kämpfe um die letzte Bastion seines Glaubens an die Rechtschaffenheit seiner Freunde. Auch diesmal würde die Bastion fallen. Falls er sie nicht preisgeben wollte, würde ich Sprengstoff in die Ritzen stopfen, bis alles in die Luft flog. Und wieder konnte er mir keinen Vorwurf daraus machen. Ich hatte ja wieder nur Wahrheit zutage gefördert. Auch wenn es wehtat. Vor allem ihm. Irgendwo in seinem Moralschädel mus s ten sich die Enttäuschungen zu einem Berg von Hass aufhäufen. Er war auch nur ein Mensch. Seit dem Tod seines Vaters hatte er seinen Zigarettenkonsum verdo p pelt und ackerte im Sportstudio bis zur Erschöpfung. Manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, hatte er mich schon angeschaut, als bedauerte er, dass ich keine Schüssi mit Glosslippen war, die man zum Essen beim Generalstaatsanwalt mitnehmen konnte, ohne einen Mord befürchten zu müssen. Er hatte sich immer so nach schöner, klarer Ordnung gesehnt! Und ich hatte wieder nur gelacht.
19
»Und gleich setzt sich der fliegende Schwarm zu di e sem ›Wolkenhirn‹ zusammen, und ein kollektives G e dächtnis erwacht.« Der Unbesiegbare, Stanislaw Lern, 1964
Eingeklemmt zwischen Experimentierschränken, Terr a rien, Aquarien, Zentrifugen und Belüftungsröhren star r te ich auf den Bildschirm. Punkte zuckten durch ein Netz von Wegen, bis eine Strecke plötzlich blau wurde.
»Das ist die kürzeste Strecke«, schreckte mich der k o reanische Brillenwaran aus meinen erdverhafteten G e wissensnöten. »Der Ameisenalgorithmus ist in der Lage, sehr schnell einen Vorschlag für den kürzesten oder den schnellsten Weg zu machen. Man greift dabei auf das Verhalten von Ameisen bei der Futtersuche zurück. Schwarmintelligenz, you know.«
Und das ging so: Wenn eine Ameise Beute fand, eilte sie zum Bau zurück. Dabei legte sie eine Spur von Duf t stoffen, auf der sie wieder zur Beute zurückfand. Ihr fol g ten andere Ameisen, bissen ein Stück von der Beute ab und kehrten in den Bau zurück. Auch sie legten eine Duftspur. So wurde der Pfad zum Fressen immer g e ruchsfetter. Nun mochte es aber sein, dass eine andere Ameise auf einem anderen Pfad ebenfalls auf die Beute traf. Auch sie zog ihre Duftspur zum Bau zurück. Andere Ameisen folgten ihrem Pfad. Wenn dieser Pfad nun kü r zer war als der erste, dann kehrten alle Ameisen auf ihm schneller zum Bau zurück und liefen früher wieder los als die anderen. Ihre Duftspuren wurden also noch dic h ter, der Pfad noch fetter. Er lockte immer mehr Ameisen auf sich. Der Duft des ersten Weges begann zu schw ä ch el n , und auf einmal wuselten alle Ameisen auf dem zwe i ten, kürzeren Weg zwischen Beute und Bau hin und her.
Logistikunternehmen machten sich das Prinzip zunu t ze, um für ihre Transporte die besten Routen errechnen zu lassen, oder Mobilfunkbetreiber, um schnell freie Str e cken zu finden.
»Mein Vorgänger, ein Japaner, hat die Ameisenvers u che gemacht«, erklärte Van Sung. »Die wissenschaftliche Frage war, ob Ameisen auf dem Mond andere Wege wählen, you know. In der Sonne ist es zu heiß, im Scha t ten zu kalt. Und nicht zu vergessen der Mondstaub. Bei Sonnenlicht werden die Teilchen elektrostatisch aufgel a den, sie springen meterhoch, weil sie so leicht sind und der Mond eine so geringe Gravitation hat. Manchmal bilden sie richtige Staubwolken. Der Staub klebt überall fest, er ist winzig und scharfkantig und schmirgelt alle Dichtungen durch. Und nichts fürchten Insekten so sehr wie
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