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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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Nichts ist so unüberwindlich wie Luftdruck. Vier Pferde bek a men die beiden Hälften einer Kugel, in der Vakuum herrschte, nicht auseinander. Das hatte der Bürgermeister von Magdeburg schon im achtzehnten Jahrhundert b e wiesen.
    Ich hämmerte gegen die Tür. »Van Sung! Hilfe!«
    Es antworteten chinesische Quetschstimmen und Gonggeschepper . Stand Van Sung da draußen und grin s te sich einen ab oder war er gleich dem ersten Aufruf von Radio High Moon oder High Noon zum Essen gefolgt? Stand auf Nichtbefolgen die Bastonade?
    Die Kantonoper schritt durch die Artemis dem Dr a chen hinterher. Schwarze und weiße, rote und blaue Masken grinsten. Ich musste sofort raus hier! Der Bauch der elastischen Abortzellenwände hatte sich unheimlich vergrößert. Von allen Seiten bedrängten mich Bäuche.
    »Achtzehn Uhr«, hörte ich gedämpft den Moderator jubeln. »Artemis-Commander Butcher bittet zu Tisch.«
    Eisige Ruhe machte sich in mir breit. Dass mein lun a res Jammertal so schnell durchschritten sein würde, hatte ich nicht vermutet. Aber was hatte ich schon jemals ric h tig vermutet? Mein ganzes Leben lang hatte ich leichtfe r tig mit dem Tod kokettiert, meistens mit dem anderer. Meine Erfahrungen hatten mir nicht geholfen, Richards Tod zu verhindern.
    Also dann, Lisa …
    »Dr. Ardan«, bohrte sich die Stimme von Radio High Moon in meine Stille. »Nicht so schüchtern. Bitte komm rauf zu uns in die Cupola! Wir freuen uns, dich zu s e hen!«
    Können vor lachen.
    Was war eigentlich mit dem Transponder in meinem Uhrarmband? Wann schlug er Alarm? Ich fingerte mir die Omega-Monduhr vom Handgelenk und warf sie ins Waschbecken. Wie lange würde es dauern, bis der Te m peraturfühler Alarm schlug? Mein Herz raste, meine Lungen pfiffen. Wie von oben sah ich mich auf dem technisch ausgefeilten Unterdruckklo hängen, gegen die Wand gelehnt, oder umgekehrt, die Wand gegen mich gelehnt, fast zär tl ich , vereinnahmend, erdrückend! Waren die Wände elastisch genug, mich zu zerquetschen, oder würden sie bersten, Gummiteile mich auspeitschen und erschlagen?
    Nachdenken, Lisa! Da hing eine Brause mit handel s üblichem Duschkopf unter dem Waschbecken. Auch der Boden hatte einen Abfluss. Richtig! Mit irgendwas mus s te Tupac sich ja vorhin abgeduscht haben. Ich knickte den Duschkopf mehr ab, als dass ich schraubte, packte den Schlauch mit beiden Händen und dolchte das scharfgrat i ge Gewinde mit überlebenswilliger Entschlo s senheit in die gespannte Zellengummiwand. Es tat einen Schlag, wie wenn ein Luftballon platzte. Ein Luftstoß katapu l tierte mich rückwärts aufs Klo. Hätte ich mein Maul nicht o f fen gehabt, mir wären vermutlich die Trommelfelle rau s geflogen. Das winzige Loch neben dem Tü r rahmen war zu einem Schlitz aufgerissen. Luft knallte herein. Aber ich hörte es nur gedämpft, denn meine O h ren waren schon wieder zugefallen. Zu viel Rotz in den Nebenhö h len.
    Ich nahm meine Uhr und legte sie wieder an. U n schuldig, als wäre nichts gewesen, ließ sich die Tür au f drücken.
    »Dr. Michel Ardan!« Die Stimme von Radio High Moon klang ungehalten. »Bitte umgehend in die Cupola! Sonst kriegst du nichts mehr zu essen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!«

20
     
    »Cyborg ist ein kybernetischer Organismus, eine Kre u zung aus Maschine und Mensch, genauso reales wie fikt i ves Geschöpf. Soziale Wirklichkeiten sind gelebte sozi a le Beziehungen, unsere wichtigste politische Konstrukt i on, eine weltverändernde Fiktion.« A Cyborg Manifest o , Donna Haraway, 1985
     
    Ich irrte durch ein Labyrinth von grauer Grundfarbe aus Einbauschränken mit Gittern für Schraub- und Messr o boter, Aggregaten, Kabeln, blinkenden Sicherungskä s ten, Schleusentüren mit Hebeln und Codetastaturen und alle r lei nachträglich angebrachter Bricolage. Plötzlich stand ich vor einem Schild mit der roten Aufschrift: »No lone z o ne«. Das meinte einen Bereich, in dem sich nie nur einer al le i ne aufhalten durfte. Wo hatte ich das schon mal ges e hen? In welcher virtuellen Welt?
    Lieber umkehren, sonst löste ich noch Großalarm aus. Bewegungsmelder ließen Lichter aufflammen, wohin ich kam, und verlöschen, wo ich durch war. Ich stieß auf eine der steilen Schiffstreppen, die unter meinen Schri t ten sang, stolperte und kam in einem runden Modulse g ment heraus, in dem Bohrer, Bohrerteile, Fräsen, Kabel, Schaufeln und Verkehrszeichen lagerten. Die nächste Tür war verschlossen. Also zurück. Plötzlich stand ich in e

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