Lehrer-Schueler-Konferenz
primäre Gefühl ist beinahe ausnahmslos weniger stark als die Wut. Wenn Lehrer diesen Unterschied wahrnehmen, werden sie sich leichter darüber klar, dass Wut einem bösen Zaubertrank gleichkommt, der in ihrem Inneren brodelt und gärt, bis er mit starker und vernichtender Wirkung übersprudelt. Diese übermäÃige Reaktion ist unverhältnismäÃig.
Einer unserer Kursteilnehmer schilderte seine Erfahrungen mit einem seiner Schüler:
Ich war immer ärgerlich über Alexander, obgleich ich nie genau angeben konnte, was er tat, um mich wütend zu machen. Ich gab mich damit zufrieden, dass » das eben so ist«. Alexander war einfach einer der Menschen, die mir gegen den Strich gingen. Dennoch war ich ständig verstimmt. Als wir in dieser Klasse über Wut diskutierten, versuchte ich herauszufinden: » Worin besteht mein primäres Gefühl Alexander gegenüber?« Fast mag ich nicht zugeben, was ich entdeckte, denn es lässt mich sehr viel unsicherer erscheinen, als ich in Wirklichkeit zu sein glaube, aber mein primäres Gefühl war Angst. Ich fürchtete, dass Alexander mit seinen hervorragenden Fähigkeiten und seiner scharfen Zunge mich vor den anderen Jugendlichen bloÃstellen könnte. Vergangene Woche bat ich ihn, nach der Schule noch zu bleiben. Ich erzählte ihm einfach, wie bedroht ich mich fühlte, wenn er mich auf irgendeinen nebensächlichen Punkt festnagelte oder mir technische Fragen stellte, die ich nicht beantworten konnte. Er war offenbar bestürzt und sagte, er versuche nicht, mich vor der Klasse als töricht hinzustellen, sondern wolle nur Pluspunkte bei mir erzielen. Am Ende lachten wir darüber, und ich fühle mich nicht mehr von ihm bedroht. Wenn er es vergisst und mich festzunageln versucht, lache ich nur und sage: » Hallo, wieder ein Pluspunkt für dich.«
Das Erlebnis dieses Lehrers ist typisch: Er entdeckte, dass es keine wirklich ernsthafte Basis für seinen Ãrger gab und daher keine Notwendigkeit bestand, strafende, wütende Du-Botschaften zu senden.
Ein Schulleiter aus unserem Kurs berichtete mutig über seine Bemühungen, den Grund für die Wut auf seinen Sohn aufzudecken:
Die ganze Sache mit der Wut, die ein sekundäres Gefühl ist, war für mich schwer zu akzeptieren, hauptsächlich weil es bedeutete, mich selbst zu prüfen, statt meinem Sohn Thomas die Schuld zuzuschieben. Während der letzten paar Monate haben Thomas und ich versucht, uns im Anschreien gegenseitig den Rang abzulaufen. Er trieb sich mit einer Horde Jungen herum, die ich kenne, und glauben Sie mir, das sind ziemliche Rüpel. Na, Sie würden sie vielleicht nicht gerade als Rüpel bezeichnen, aber sie rauchen ab und zu Hasch, trinken manchmal Bier, und einige der Mädchen, mit denen man sie sieht, machen nicht gerade den besten Eindruck. Nachträglich betrachtet, weià ich, dass ich Thomas ziemlich schwer mit Du-Botschaften zugesetzt habe. Zum Beispiel: » Sage mir, wer dein Freund ist, und ich sage dir, wer du bist.« Darauf antwortete mir Thomas, ich solle ihn in Ruhe lassen, und ich wurde richtig wütend. Es dauerte noch eine Weile, bis ich darüber nachdachte, was meinem Ãrger zugrunde liegen könnte. Ich hatte Angst davor, mir eingestehen zu müssen, dass mit Thomas alles in Ordnung war und das Problem meines war. Ich fand heraus, dass die Ursache für meine strafenden Du-Botschaften meine eigene Enttäuschung war. Was aber versteckte sich hinter meiner Enttäuschung? Wissen Sie, was das wirkliche primäre Gefühl war? Angst. Ich hatte Angst davor, was man in der Schule über mich sagen könnte, wenn man merkte, mit was für Burschen mein Sohn sich herumtrieb, dass man denken würde: » Schöner Schulleiter! Sein eigener Sohn treibt sich mit Strolchen herum.«
Als ich das erkannt hatte, brauchte ich Thomas nicht einmal mehr mit dem Problem zu konfrontieren. Ich teilte ihm lediglich meine Erkenntnis mit, dass ich ihn ungerecht behandelt hätte. Er sagte nur: » So«, aber seit einigen Tagen reden wir wieder miteinander. Dabei erfuhr ich, dass auch er von der Clique nicht allzu viel hält.
Wie viele von uns, drückte dieser Vater seine eigene Angst, von seinesgleichen bewertet zu werden, als Wut und Unwillen gegen seinen Sohn aus. Das drohte die Beziehungen zu zerstören. Nachdem er sein primäres Gefühl entdeckt hatte, konnte er selbst dafür
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