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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Steinewerfer dann in einem absurden Anfall von Völkerverständigung zu meinem Geburtstag eingeladen.
    Nun schaufelte sie ein Stück Torte auf Thomas’ Teller, auf dem Alfs abgehackter Kopf zufrieden lächelte. Tatsächlich war Thomas, diese mentale Sackgasse ohne Bäume, zu einem schmalen »Danke« in der Lage, bevor er anfing, meine Geburtstagstorte zu verschlingen, als wären es die Überreste des Feindes.
     
    Neben ihm saßen Lisa und Lotte Fennermann, die Shining-Zwillinge. Zwei bemerkenswert gruselige Geschwister, immer gleich gekleidet, kaum zu einer abweichenden Aussage in der Lage, alles, was die eine sagte, schallte wie ein Echo im Grand Canyon noch einmal von der anderen hinterher. Ihre Eltern waren Zeugen Jehovas, was im Nachhinein ihre Teilnahme an meiner Geburtstagsfeier noch eigenartiger macht, vielleicht war es eine Art verdeckte Mission, um festzustellen, wie Atheisten so leben. Lisa und Lotte waren so winzig, dass wir die Sitzkissen sämtlicher Stühle unter ihre kleinen Hintern schieben mussten, damit sie überhaupt über die Tischplatte sehen konnten. Jetzt tat allen anderen der Arsch weh, Lisa und Lotte konnten aber immerhin einen Blick auf die Torte werfen. Sie trugen beide verschiedenfarbige Haarschleifen, anscheinend fiel es selbst ihren Eltern schwer, die debilen Klonschafe auseinanderzuhalten. Die beiden bekamen ihre riesigen Tortenstücke, stocherten in der sahnigen Masse herum und zogen dann ein gemeinsames Fazit.
    »Iiiih«, sagte die eine.
    »Iiih«, sagte die andere.
    »Wir sind allergisch gegen Kirschen«, sagte die eine.
    »Kirscheeeen«, hallte es von der anderen hinterher. Eine Unterhaltung von Fledermäusen an der Höhlendecke wäre vermutlich nicht viel variantenreicher gewesen.
    Meine Mutter nickte reserviert und stellte den Zwillingen stattdessen ein wenig trockenen Nusskuchen hin. Thomas Löffler nahm sich sofort die Teller der beiden und mampfte glücklich ihre Reste. Er begann vom Trainingslager und dem Essen dort zu erzählen, woraufhin ich mir vor lauter Langeweile wünschte, nackt und brennend in eine Kreissäge zu springen.
    Vervollständigt wurde dieses Triumvirat des Irrsinns von Cem Söngül. Der schwarzhaarige Junge war in der Förderklasse meiner Mutter und erst vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen. Vielleicht hätten wir Freunde werden können, schließlich war er der Einzige in der Runde, der mir keine Angst einjagte. Doch Cems Eltern sprachen kein Deutsch, seine Geschwister sprachen kein Deutsch – und Cem sprach auch kein Deutsch. Sarrazin hätte vor Freude das hängende Lid gezuckt, wenn Cem nicht so ausnahmslos höflich gewesen wäre. Obwohl meine Mutter ihn zum Zwecke der Zwangsintegration zu meiner unseligen Geburtstagsfeier eingeladen hatte, war er trotz mangelnder Sprachkenntnisse der Einzige, der wenigstens etwas Anstand bewies und sich gebührend bedankte, als ihm ein Stück Torte gereicht wurde. Zudem trug er eine Anzughose, ein weißes Hemd und eine Fliege. Er sah aus wie ein kleiner Atatürk auf Staatsbesuch.
    Neben ihm beseiberte der königsblaue Spülstein Thomas Löffler die Shining-Zwillinge, die Puppenkostüme anhatten, die selbst für die Kinder der Waltons zu uncool gewesen wären. Er erzählte immer noch aufgeregt vom Trainingslager, während die Zwillinge meinem Vater ihre diversen Allergien aufzählten, worauf dieser langsam einnickte. Kirschen, Blumen, Pollen, Gummi, Freude, Nüsse …
    Als nächsten Programmhöhepunkt hatten sich meine Eltern ein pädagogisch wertvolles Spiel ausgedacht, das wohl in jedem Haushalt zumindest einmal zu erheblichen Kollateralschäden führt: Topfschlagen. Ein urtümlicher Brauch, bei dem man dämlich auf dem Boden herumkriecht und für ein paar Bonbons das gesamte Mobiliar zertrümmert. Thomas Löffler zerschlug mit dem Holzlöffel eine Blumenvase, noch bevor mein Vater ihn mit einem sanften Tritt in Richtung des Topfes bugsieren konnte. Die Shining-Zwillinge wollten nicht spielen, in ihrem Konzept von Leben war Spaß keine Option, lieber bekamen sie noch einen kleinen asthmatischen Anfall und fielen prustend vom Stuhl. Immerhin etwas Heiterkeit, dachte ich und kroch im Beisein der gesamten spaßfeindlichen Nachbarschaft dem dösigen Topf hinterher. Als ich ihn aufdeckte, fand ich statt etwas buntem Süßkram einen laktosefreien Diätriegel. »Wegen deiner Laktoseintoleranz, mein Moppelchen«, quietschte meine Mutter stolz. Ich musterte meine Eltern und machte mir in meinem Kopf eine kurze Notiz:

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