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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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»K-U-H«-Steinchen gerade.
    »Schreib auf, Papa, das macht fünf Punkte«, bat ich meinen Vater, doch er knurrte nur verdrossen und griff nach meinen Spielsteinen.
    »Das können wir sicher noch besser machen«, grummelte er, während meine Mutter ihn böse ansah.
    »Ah, ich hab’s!«, sagte er und streckte seinen Zeigefinger in die Höhe.
    »Dass du das nicht gesehen hast«, sagte er vorwurfsvoll und legte das Wort »A-N-T-A-G-O-N-I-S-T«.
    »Anachronismus ging leider nicht, dir fehlt ein C.« Mein Vater schob mir meine leer geräumte Halterung für die Buchstabensteinchen hin.
    »Was ist das, ein Antagomnist?«, fragte ich. Meine kindliche Begeisterungsfähigkeit für Brettspiele hielt mich noch am Tisch, obwohl eigentlich selbst Spielknetefressen unterhaltsamer gewesen wäre.
    »Ein Antagonist ist ein Gegenspieler, jemand der gegen dich vorgeht und versucht, deine Handlungen zu verhindern?«, erklärte mein Vater genervt.
    »So wie du, Papa?«, fragte ich voll kindlicher Unschuld.
    Mein Vater sah meine Mutter an, als hätte ich gerade verkündet, fortan ein Mädchen sein zu wollen. Ratlos rieb er mit seiner Hand auf der Tischplatte herum und murmelte wie ein Besessener vor sich her.
    Meine Mutter durchbrach die unangenehme Stille und schnippte mit ihren Fingern einfach ein paar Spielsteine vom Brett.
    »Schau mal, was da drin war, ein ganz anderes Wort«, sagte sie in diesem unnachahmlichen Grundschullehrerinnenton, es fehlte eigentlich nur, dass sie eine Socke mit Augen über ihre Hand gestülpt hätte.
    »T-A-G«, las ich vor.
    »Für das T gibt es da sogar doppelte Punktzahl. Robert schreib auf, Basti bekommt 30 Punkte«, sagte sie und drückte meinem Vater den Stift so unmissverständlich in die Hand, dass er sofort anfing, die mickrigen neun Punkte neben meinem traurigen Smiley zu ergänzen.
    Ich freute mich und wurde aufgrund der großzügigen Dehnung der Spielregeln an diesem Tag sogar zweiter Sieger.
    Meine Mutter hatte meinen »T-A-G« gerettet.

Das Schulklo
    Jede Schule besitzt einen Raum, der mit ebenso vielen Mythen behaftet ist wie Stonehenge oder die Area 51: das Schulklo. Optisch stilsicher an Hannibal Lecters Einzelhaftzelle orientiert, hat das Schulklo immer etwas Unheimliches. Ein Hauch von Grusel und präpubertärer Inkontinenz durchweht die muffigen Hallen, die meist nur von einer Zwanzig-Watt-Sparbirne in ein trübes Licht getaucht werden.
    Die Wände sind mit orthografisch fragwürdigen Beschimpfungen (»Wer das list ist doov«, »Durchfall = Sprühwurst«) beschmiert, und die Außenwelt existiert nur in Form kleiner Glasbausteine, hinter denen die Realität zu einem matschigen Brei mutiert. Die nüchternen weißen Emailleschüsseln haben statt einer Klobrille nur zwei aufgeklebte schwarze Randstreifen, die wie die Seitenmarkierung einer Landebahn den braunen Kackwürstchen den Weg weisen. An der Seite einer jeden Kabine hängt der Horror jedes Pennälerpos, das einlagige Recyclingtoilettenpapier, schmiegsam wie eine Nagelfeile und saugfest wie Styropor. Das Papier ist so hart und rau, dass man damit einen Saurücken entborsten könnte, kein Kind bei klarem Verstand würde es jemals freiwillig benutzen, deshalb sieht man jeden Klogänger mit einer fein säuberlich in der Hand versteckten Packung Tempotaschentücher die Kachelgrotte betreten.
    Auch ich musste so manches Mal dieses Herz der Finsternis aufsuchen, besonders in der Grundschulzeit war eigentlich jeder Besuch des Schulklos eine Odyssee.
    In meiner kindlichen Phantasie lauerte so manche Gefahr in diesen paar Quadratmetern deutscher Schulwirklichkeit, ich erwartete Kraken, die versuchen würden, mich in den blanken Topf hinabzuziehen, und monströse Spinnen, die aus den Wasserhähnen krochen, um nach mir zu schnappen. Doch das, was wirklich im tristen Ambiente des Schulklos auf mich warten würde, hatte ich nie erahnt.
    Es war ein düsterer Herbsttag, ich war acht Jahre alt, trug eine Frank-Elstner-Brille und ein T-Shirt, auf dem Micky Maus Klimmzüge machte. Vorsichtig öffnete ich die knarzende Tür des Schulklos, und sogleich schlug mir ein undefinierbarer Geruch zwischen Scheuermittel und Hubba-Bubba-Kaugummi entgegen. Schulen scheinen ihre Klos nicht zu heizen, anders lässt es sich nicht erklären, dass einem aus den Wasserhähnen gebirgsbachkalte Plörre entgegensprudelt und die Luft klar und hart ist wie in einem Leichenschauhaus. Langsam, mich zu allen Seiten umschauend, schlich ich durch das aschfahle Licht der

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