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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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ebenso synchron und lustlos wie Lisa und Lotte. Mir fiel auf, dass mein Vater bei jedem ihrer Worte ein wenig zitterte. Die Shining-Zwillinge sprangen auf, als hätte man sie gerade aus einer Zwangsjacke befreit, und rannten auf ihre Eltern zu. Bepustelt und gezeichnet vom Nusskuchen drückten sie sich in den dicken Unterrock ihrer Mutter – und noch bevor ihr Vater meine Familie mit allen Flüchen Jehovas belegen konnte, schloss meiner die Tür.
     
    Erleichtert atmeten Cem Söngül und ich auf. Cem strich mit seiner kleinen Hand die Tischdecke glatt, lächelte mich an und sagte irgendetwas auf Türkisch. Ich verstand kein Wort, aber es klang sehr lustig. Wir mussten beide lachen. Mit einer kleinen Verbeugung erhob sich Cem dann von seinem Stuhl, ging hinüber zu meinen Eltern und verbeugte sich auch vor diesen. Fast lautlos zog er seine Jacke an und schlüpfte aus der Tür.
    Ich habe ihn danach nie wiedergesehen, doch an unsere Umarmung werde ich mich trotzdem immer erinnern.

Scrabble
    Es ist Montagabend. Wir scrabbeln.
    Wir scrabbelten jeden Montagabend, Dienstage waren für Theaterbesuche reserviert (natürlich mit vergünstigten Karten in der letzten Reihe), mittwochs sahen wir das literarische Quartett und kauften danach die Bücher, die dort gut besprochen wurden. Donnerstags gingen wir ins Kino und schauten einen Film, der das Prädikat »besonders wertvoll« erhalten hatte, und wenn keiner lief, sahen wir im Fernsehen das, was meine Eltern für »besonders wertvoll« hielten. Freitags besuchten wir die Oma, die samstags anrief und fragte, warum wir sie so lange nicht besucht hatten. Dann besuchten wir sie auch samstags und gingen nicht ans Telefon, wenn sie es sonntags wieder versuchte. Sonntags ging ich mit meinem Vater zum Flohmarkt, wo er kistenweise alte Bücher und Schallplatten erstand, die er dann im Kofferraum stapelte, während ich danebenstand und staunte. Zum Abschluss stellten wir uns bei der Gulaschkanone auf dem Flohmarkt in die Reihe der Bedürftigen, die die Suppe umsonst bekamen.
    Aber heute scrabbeln wir, denn heute ist Montag.
    Scrabbeln ist an sich schon ein Spiel, das den meisten Menschen weniger Freude macht als eine Wurzelbehandlung mit der Kettensäge, und wenn man dann noch mit zwei Germanisten und einem schuhkartongroßen Wörterbuch am Tisch sitzt, dann bettelt man geradezu um die Kettensäge.
     
    Mein Vater schob die Zunge über die Lippen und griff sich ans Kinn. Er dachte nach. Seit sechs Minuten. Meine Mutter ordnete das vierte Mal in Folge ihre Buchstaben neu, zweimal waren sie ihr schon aus den Händen gerutscht und heruntergefallen, der Hund trug immer noch ein »Y« von unserem letzten Scrabbleabend in seinem Bauch spazieren.
    Wie in Zeitlupe griff mein Vater nach seinen Buchstaben und legte in absurder Genauigkeit ein wasserwagengerades »O-X-Y-M-O-R-O-N« auf das Spielbrett.
    »Was ist das denn«, spuckte ich auf den Tisch, die S-Laute fielen mir aufgrund meiner Zahnfehlstellungen schwer, deshalb sprach ich auch meinen Namen nicht gern aus, am liebsten hätte ich Ulf geheißen, da konnte man nicht viel falsch machen.
    »Ein Oxymoron ist eine rethorische Figur, Bastian. Sie bildet sich aus zwei sich widersprechenden Begriffen«, sagte mein Vater belehrend. Eigentlich klang alles belehrend, was mein Vater von sich gab, ob er jetzt »Hallo« oder »Bastian, gib mir mal das Salz« sagte.
    »Ja, so etwas wie ›Alter Knabe‹ oder ›Lautes Schweigen‹«, erläuterte meine Mutter, da ich wohl immer noch wie ein Einzeller schaute.
    Mein Vater notierte sich 36 Punkte auf seinem Zettel, hinter seiner Gesamtpunktzahl 142 machte er ein Ausrufezeichen. Hinter meine neun Punkte malte er einen traurigen Smiley.
    »Jetzt bist du dran!«, ermutigte mich meine Mutter und klopfte mir sanft auf den Rücken.
    Ich starrte seit Ewigkeiten auf die elfenbeinfarbenen Spielsteinchen, die da vor mir auf dem kleinen Podest standen, doch alle Wörter, die sich bilden ließen, hatten nur zwei Buchstaben. Stolz legte ich meinen ersten Einfall mit drei Buchstaben aufs Spielfeld.
    »K-U-H«, las meine Mutter vor, und mein Vater warf ihr einen geheimniskrämerischen Blick zu, so in der Art: »Sicher, dass dieses Kind von mir ist?«
     
    »Das ist aber recht einfach«, sagte mein Vater enttäuscht. Er hatte zumindest so etwas wie »Plebiszit« von seinem Sohn erwartet.
    »Na ja, er ist halt auch erst sieben Jahre alt«, sagte meine Mutter und strich mir über den Kopf, stolz schob ich meine

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