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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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offensichtlich makellos, dass man den zukünftigen Schulschönling, Klassensprecher, Medienagenturleiter ohne Probleme erkennen konnte. Sein Körper war straff und athletisch, seine Zähne gerade und weiß und sein Gesicht zu einem Grad raubvogelhaft, dass es gerade noch schön war.
    Robenzek war ein durchtrainierter, zäher Fiesling, ich dagegen eine schwammige Masse geballter Selbstunsicherheit. Ich wiederholte gebetsmühlenartig in meinem Kopf: »Mit linker Faust antäuschen, dann mit rechter Faust durchziehen und ihn voll treffen.« Gleichzeitig spannte ich meinen Körper bis zum Maximum an und ignorierte, dass sich vom Regen in meiner Leistengegend ein nasser Fleck bildete, der ein wenig wie Selbstbeschmutzung aussah. Schon wieder.
    Dann kam Robenzek, umringt von einer Reihe ergebener Gefolgsleute, die sich über seine Witze amüsierten und ihn um seinen Hochmut beneideten. Er sah mich, sein Blick verfinsterte sich, ein spöttischer Schatten legte sich über sein Gesicht, und er spitzte den Mund zu seiner allmorgendlichen Beleidigungstirade.
    »Na, Knacki, heute schon …«, kurz bevor er mir noch einmal den Namen meines verstorbenen Meerschweinchens geben konnte, trat ich einen Schritt vor. Ich hörte in meinem Kopf das Mantra meiner Kampfbewegungen ablaufen, »Erst mit der Linken antäuschen, dann mit der Rechten voll zu einem zentralen Schlag durchziehen, genau auf die Nase«, und ich sammelte mich zum finalen Angriff.
    Dann trat ich Michael Robenzek schreiend in den Sack.
    Plan gescheitert.
    Der spöttische Schatten seines Gesichts wich einem blauen Muster, das stirnabwärts Richtung Hals wanderte. Seine Augen verdrehten sich, einen kurzen Moment schielte er mich heiter an, bevor sich langsam seine Zunge durch seine Zähne schob und ihm Tränen in die Augen schossen. In Zeitlupe klatschte er vor mir auf den bunt bemalten Schulhofboden und blieb genau auf dem Ende einer fröhlich grinsenden Comicschlange liegen.
    Ich stand da wie der Rächer der Enterbten, und wer behauptet, Rache sei ein schäbiges Gefühl, der hat noch nie seinen Feind zum Schielen gebracht.
    Wenige Minuten später saß ich im Lehrerzimmer, Regenwasser tropfte von meiner nassen Hose auf den Linoleumboden, und unser Sportlehrer Herr Schmitz beäugte mich mit so kritischer Miene, als wäre ich ein adipöser Bademeister, der sich gerade als Unterwäschemodel bewarb. Ausgerechnet er hatte mich aufgegriffen, als ich stolz vor dem kleinen, blauen Schmerzbündel Robenzek stand und ungläubig auf ihn herabsah. Im Rahmen einer ersten pädagogischen Maßnahme wurde ich nun im Lehrerzimmer zwischengelagert.
    Der staubige Muff von asbestverseuchten Böden legte sich in meine Nase, es roch nach frisch kopiertem Recyclingpapier und Fencheltee. Die Lehrer wuselten um mich herum, sie tratschten, lachten hektisch oder wanderten einfach im Selbstgespräch umher. Der Raum hatte etwas von einem Meditationstempel, der sich langsam mit Tränengas füllt. Alles wirkte ein bisschen zu schnell, ein wenig zu lebhaft.
    Mein Sportlehrer Herr Schmitz setzte sich vor mich, seine Augen schimmerten lustvoll bei dem Gedanken, dass er mich, den Schüler, auf den er mit einem so offensichtlichen Abscheu niederblickte, bei einer Missetat erwischt hatte. Seine braun gebrannte Haut war spröde wie der Hintern eines Tapirs, das Leben auf dem Sportplatz hatte faltige Gräben in sein Gesicht geschlagen, die sich mit jedem Wort, das er sagte, vertieften. Seine Zähne bleckten weiß und unecht hervor, ein paar Brotkrumen hingen wie tote Läuse in seinem Schnurrbart. Er trug seinen blauen Sportanzug, es war Mittwoch.
    »So, Bastian, erst einmal möchte ich, dass du dich bei dem Michael entschuldigst.«
    Erst da wurde mir klar, dass Robenzek neben mir saß, die blaue Entgeisterung in seinem Gesicht war einem roten Ballon gewichen, seine Augen starrten mich hasserfüllt an, auf seinen Wangen hatten sich Schlieren aus Tränen gebildet.
    Ich schwieg. Derart dämliche Entschuldigungsgesten lagen mir nicht. Abstruses Geheuchel, das bei jedem Streit von den Lehrern gefordert wurde. Als ob das was gebracht hätte. Ich hatte durch meine Aktion sowieso jede Brücke, die zwischen mir und Robenzek hätte gebaut werden können, im Voraus niedergebrannt.
    »Aha, ich verstehe«, sagte Schmitz und blies Luft durch seine gespitzten Lippen wie ein Turmspringer, der gleich den sicheren Boden unter den Füßen verliert.
    Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte wohl geglaubt, ich würde um Vergebung

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