Lehrerkind
Badewanne vollgekotzt hätte. Ihre Sprache war eine krude Mischung aus grammatikalischer Körperverletzung, Husten und diversen Wortfehlstellungen.
Timo und ich trafen uns täglich, um He-Man zu spielen. Für Kinder der Achtziger gab es eigentlich nur zwei Alternativen, sich mit Weichmachern zu vergiften: He-Man und die Transformers. Für heutige Verhältnisse, wo die effektverwöhnte Jugend nur in Verzückung zu versetzen ist, wenn Pikachu Funken furzt oder sich aus einem Spielzeug gleichzeitig eine funktionsfähige Handfeuerwaffe bauen lässt, waren unsere damaligen Spielfiguren vorsintflutlich. He-Man war eine fleischfarbene Muskelmannpuppe mit einem blonden Topfhaarschnitt, wie man ihn heute höchstens noch an Transvestiten oder Günter Netzer findet. Er ritt den Großteil des Tages durch sein erstaunlich homoerotisch aufgeladenes Königreich und bekämpfte den düsteren Skeletor, der ein wenig wie Dieter Bohlen in lila Spandex aussah und völlig grundlos böse war. Er war wie alle Kindheitsbösewichte einfach ein Drecksack ohne Begründung. Jedenfalls beherrschte dieser eigenartig hohle Kampf von Steroidklumpen unsere Kindheit, wir schlugen die Figürchen aneinander, imitierten dazu das klirrende Geräusch der Schwerter und ließen sie durch einen Parcours von Haushaltsgegenständen wackeln. Dazu lief auf einem kleinen Kassettenrecorder die Mauerfallhymne »Looking for freedom« des Brustfellbarden David Hasselhoff, der von Kindern meiner Generation gemeinschaftlich als »wichtigster Mensch der Welt« (neben Michael Jackson) anerkannt wurde. Regelmäßig sprang die Tür auf, und Jutta hatte uns etwas mitzuteilen, das jedem Deutschlehrer eine Träne der Rührung entlockt hätte:
»Mach dat Geplärre aus, sonst hat den Arsch aber Kirmes, Timo!«
Timo musterte das vergilbte Antlitz seiner Mutter mit angemessener Verachtung, schob seine Brille über den Nasenrücken und drückte die Stop-Taste des Recorders, Hasselhoff verstummte.
»Das heißt aber ›der Arsch‹, das ist das Maskulinum«, schnitt ich die Stille in kleine Teile. Das Deutschlehrergen, das irgendwo in meinem kleinen Körper schlummerte, hatte sich entschieden, die Situation der totalen Eskalation entgegenzuführen.
Jutta schaute mich an, der kleine dicke Junge, der seit so vielen Wochen schon die Nachmittage unbeachtet in ihrer Wohnung zugebracht hatte, wagte gerade wahrhaftig, ihr die Kriterien ihrer Muttersprache zu erläutern.
»Was bist du denn für ein Kackstöpsel? Timo, wem sein Balg ist das?«, geiferte sie ihren Sohn an.
Jutta, dieses neurologische Minenfeld, hatte mich herausgefordert. Ihre Grammatik war einfach nicht zum Aushalten.
»In diesem Fall sollten Sie den Genitiv anwenden, ›Wessen Balg ist das‹ wäre grammatikalisch richtig, Frau Krause«, versuchte ich ihr zu erläutern.
Juttas Kopf schwoll rot an wie die Analdrüse eines läufigen Terriers, die Verhandlungen um meinen Verbleib schienen endgültig gescheitert.
»Das ist Bastian Bielendorfer, Mama«, murrte Timo kleinlaut.
»Sag mich sofort die Nummer von deine Eltern!«, forderte Jutta die Kontaktmöglichkeit zu meinen Erziehungsberechtigten ein, die ich bereitwillig preisgab, aber nicht ohne noch einmal darauf hinzuweisen, dass es »deinen Eltern« heißen müsse, da es sich um ein Possessivpronomen Plural im Dativ handele, was Jutta mit einem Kopfschütteln quittierte. Dazu machte sie ein prustendes Geräusch, das entfernt an einen Bierkutschergaul erinnerte.
Im Wohnzimmer röhrte sie sogleich Gift und Galle in den Hörer, mein verdutzter Vater sicherte umgehend meine Abholung zu, und wenige Minuten später klingelte es an der Tür der Krauses.
Timo schaute mich traurig an, uns war beiden klar, dass es ein Abschied auf nicht absehbare Zeit sein würde. Ich sammelte meine Figuren ein, verstaute sie in meinem Rucksack und ging zur Haustür, an der schon mein Vater wartete, der sich gerade in einem Dialog mit Frau Krause befand.
Sie hatte sich immer noch nicht abgeregt und erläuterte bildreich den Grund meiner Verbannung.
»Ihr Sohn is ja wohl dat Allerletzte, haunse dem mal kräftig watt auffe Buchse. Der glaubt wohl, er wär was Besseres wie ich!«, sagte sie.
Das Gesicht meines Vaters verfinsterte sich, ein paar noch nie da gewesene Falten gruben sich in die Haut um seine Augen, er schaute strafend und im angemessenen Maße empört … Frau Krause an.
» Als! … Etwas Besseres als ich«, sagte er. »Das ist der Komparativ, Frau Krause. Sie wollen ja
Weitere Kostenlose Bücher