Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
Vom Netzwerk:
winseln und unter Tränen zugeben, dass mein Geist genauso schwach sei wie mein speckiger, kindlicher Leib. Ich trotzte dem scharfen Blick, den er mit zuwarf, bevor er etwas auf einem kleinen Formbogen notierte, der wohl als Vorlage für einen Brief an meine Eltern dienen sollte.
    Plötzlich tauchte der Kopf meiner Mutter hinter Schmitz’ blauem Sportanzug auf, sie hatte Pause und schien nicht böse zu sein, mich hier zu sehen. Dann sah sie Michael Robenzek, der, mit Dreck besudelt und immer noch den Tränen nahe, neben mir saß und auf meine Entschuldigung wartete. Mein Vater hatte ihr wohl von den Guerillakriegsplänen erzählt, die er für mich geschmiedet hatte. Überraschenderweise schaute sie mich nicht böse, sondern fröhlich an und hatte ein großes Grinsen auf dem Gesicht. Sie winkelte ihren Arm an und zeigte mir auf Bauchhöhe ein »Daumen hoch«, sodass es Schmitz und Robenzek nicht sehen konnten. Toll, ihr Sohn war jetzt Chuck Norris. Chuck Norris im Lehrerzimmer.
    »Willst du denn sonst was zu dem Vorfall sagen?«, fragte Schmitz gelangweilt. Er wusste, dass der kleine Junge vor ihm nicht antworten würde, ab hier war das Gespräch nur noch Formsache. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, ihm zu erzählen, wie oft Robenzek mich gequält und gepiesackt hatte, wie viele meiner kindlichen Hoffnungen auf ein wenig Zugehörigkeit er mit seiner Bösartigkeit ertränkt hatte und wie sehr ich ihn dafür verabscheute, doch dann entschied ich, dass ich damit nur Öl ins Feuer gießen würde, und schwieg lieber.
    »Dir ist schon klar, dass das zur Klassenkonferenz führen wird, oder?«, fragt Schmitz, und bei dem Gedanken, mich noch einmal im Beisein der gesamten Lehrerschaft auszufragen, flammte seine Vorfreude noch einmal auf.
    Schmitz spielte in seinem Kopf durch, wie er mich vor den anderen Lehrern zerpflückte, wie er mich als gestörten Schläger darstellen könnte, der letztendlich eine Gefahr für seine Mitschüler war und deshalb der Schule verwiesen gehörte.
    Gerade als er aufstehen wollte, um mich zur Tür zu bringen, fiel Michael Robenzek neben mir wie ein roter Legoklotz vom Stuhl. Es machte ein lautes »Plong«, und das hektische Treiben im Lehrerzimmer verstummte, als hätte man auf einer Beerdigung gefurzt. Herr Schmitz bemühte seine schemenhaft vorhandene Fähigkeit zur Empathie und kniete sich neben den regungslos daliegenden Michael Robenzek, dann schnippte er zweimal vor dessen brachliegender Mimikwüste und stellte verdutzt fest, dass der Schüler »bewusstlos« sei. Herr Schmitz hatte seine Erste-Hilfe-Ausbildung eindeutig im Schlachthof gemacht, anders war so viel Scharfsinn nicht zu erklären. Ich nutzte die Gunst der Stunde und verdrückte mich klammheimlich aus dem Lehrerzimmer, hinter mir sah ich nur eine Schar Lehrer, die sich im Halbkreis um den bewusstlosen Michael postierten und allesamt so hilflos schauten, als gelte es, eine Flugzeugturbine zu reparieren.
    Ich hatte meinen Intimfeind für mindestens eine Woche ausgeschaltet, und mein Mitleid hielt sich zunächst in Grenzen. Als ich aber am Tag meines Triumphs nach Hause kam, hatte sich die Freude meiner Mutter in einen unangenehmen Drang zur öffentlichen Rechtfertigung verwandelt.
    »Grmph« war das Einzige, was sie mir gegenüber formulierte, bevor sie fluchend in ihrem Zimmer verschwand. Langsam, aber sicher kam die Ausdrucksfähigkeit meiner Mutter auf dem Niveau eines Hinkelsteins mit Moosbewuchs an. Anstatt mir vorzuwerfen, dass die gesamte Lehrergemeinschaft ab sofort die Sippenhaft über sie und ihren Terroristensohn verhängt hatte, kam nur ein wütendes »Grmph« aus ihr heraus. Hoffentlich lud sie Robenzek jetzt nicht zu meinem nächsten Kindergeburtstag ein!
     
    Auch wenn es mir für meine Mutter leidtat, dass sie nun mit mir den Status des Geächteten teilte, war ich ganz froh, zumindest für eine Woche die bellende Teufelsmaske von Michael Robenzek nicht sehen zu müssen.
    Die Tage vergingen, und statt ausgiebigen Mobbings erlebte ich eine zweifellos schöne Zeit, in der sich die nun verstreut und ohne Anführer dastehenden Gefolgsleute Robenzeks irritiert an mich wandten, den Königsmörder. Ich konnte mit diesen halbgaren Hirnbrötchen allerdings nicht viel anfangen und verlegte mich erneut auf mein gewohntes Außenseitertum. Eines Morgens, der gesamte Klassenkorpus hatte sich schlaftrunken in dem nach Kreide und Wassermalfarbe riechenden Kunstraum eingefunden, sprang die Tür auf und ein kleines Männlein schob

Weitere Kostenlose Bücher