Lehrerkind
feingliedrigen Wesen mit schmalen Gelenken, und mir, einer abgeschminkten Cindy aus Marzahn.
Isabella Calotti, meine erste Liebe, die endete, bevor sie begann, weil ich meine Angebetete ins Koma laberte und sie dabei mit Eis vollstopfte. Wahrscheinlich hätte ich nicht auf meinen Vater und Onkel Willi hören dürfen, dachte ich, während Isabella verzweifelt nach einem Taschentuch suchte.
Ich hätte es besser wissen müssen, das einzige Mal, dass ich Onkel Willi im Umgang mit Frauen erlebt hatte, endete damit, dass die Polizei kam und ihn leicht verstört auf den Rücksitz des Einsatzwagens bugsierte. Meinen Vater und seine Beteiligung an dem Desaster übersah man wie immer, da er ja ein kleines Kind an der Hand hatte und kaum in solch absurde Vorfälle verwickelt gewesen sein konnte. Doch er war darin verwickelt gewesen, und im Nachhinein war ich mir nicht sicher, ob er die Möglichkeit, dass Onkel Willi bei seinem Flirtversuch in Einzelhaft landen könnte, nicht ernsthaft mit eingeplant hatte.
Wilfried wusste einfach nichts mit Frauen anzufangen, und warum er überhaupt nach einer suchte, erschien selbst mir neunjährigem Pimpf schleierhaft. Vielleicht hatte er im Fernsehen einige dieser obskur glücklichen Medienpaare gesehen, wie sie ihre innige Nähe vor der ganzen Welt demonstrieren und sich dann wenige Monate später wegen »unüberbrückbarer Differenzen« trennten. Onkel Willi erlebte immer nur »unüberbrückbare Differenzen«, bloß der erste Teil der Beziehung kam nie zustande.
So auch bei Gundula Götze, der Abteilungsleiterin Wissenschaft eines Traditionsbuchhandels aus der Fußgängerzone. Gundula war ein so unscheinbares Wesen, sie hätte sich im Baumarkt einfach neben die graue Raufasertapete stellen können und wäre dann verschwunden. Nichts an ihr hatte Farbe oder auch nur die kleinste Tendenz zur Spannung, ein menschliches Fernsehtestbild, moderiert von Frank Elstner. Sie war perfekt für Onkel Willi.
Dies musste er auch selbst festgestellt haben, als er wieder einmal ein paar Stunden in der Buchhandlung herumgegeistert war und sich Fachliteratur über Gartenzwerge angeschaut hatte. Gundula Götze war ihm aufgefallen, weil sie so energisch den Warenscanner in die Buchrücken rammte, als wollte sie eine Mastsau aus dem Leben pflocken.
Wilfried stellte sich in die Schlange vor ihrer Kasse und wartete, bis sein Buch namens »Die Geschichte des Gartenzwergs« von Gundula bearbeitet wurde. Sie schlug den Scanner fast durch den Buchrücken, was Wilfried mit einem »Sie machen das aber gut« quittierte. Die anderen Kunden waren nicht so erheitert, dass die frustriert aggressive Gundula ihnen eine Bügelfalte ins Buch kloppte, doch Onkel Willi war entzückt und stellte sich gleich noch einmal an. Dieses Mal kaufte er ein Buch über Meditation für Reizdarmpatienten, welches er einfach von einem Stapel gegriffen hatte. Gundula pflockte erneut, und er stellte sich wieder an. Nachdem er fast den gesamten Buchbereich um die Kasse herum leer gekauft hatte, neigte sich der Arbeitstag von Gundula dem Ende zu und sie registrierte noch immer in keinster Weise, dass der irgendwie eigenartige Mann mit den halb offenen Augen und den Spuckefäden im Mundwinkel vielleicht gar nicht so interessiert an der Literatur über Yoga und Zen-Meditation war.
Am nächsten Tag klagte Wilfried meinem Vater sein Leid und schilderte ihm seinen aufregenden Nachmittag in der Buchhandlung. Er hätte die scannerhackende Gundula wahrscheinlich weniger szenisch eingeführt, wenn er gewusst hätte, welch unheilvolle Kette an Ereignissen er damit in Gang setzte und dass er in der Folge fast im Gefängnis landen sollte – wobei ich bei allem der Augenzeuge war.
Mein Vater hatte eine paradoxe Mischung aus Samaritersyndrom und Teufel in sich, die im Zusammenspiel mit dem leichtgläubigen Wilfried immer wieder Katastrophen heraufbeschwor. Einmal erzählte er Wilfried, dass das Hans-Sachs-Haus, das einzige Veranstaltungszentrum in Gelsenkirchens Innenstadt, für eine unbekannte Summe an Steuergeldern von Christo verhüllt worden sei, weil die Documenta 1989 in Bulmke-Hüllen stattfinde. Nicht nur die Documenta war gelogen, die paar trinksüchtigen Erwerbslosen, die in Bulmke-Hüllen versauerten, brauchten viel, aber keine Kunstausstellung. Nein, auch das Hans-Sachs-Haus war nicht von Christo, sondern von einer Gerüstbaufirma verhüllt worden, die Fassade befand sich ganz einfach in der Renovierung. Wilfried nahm die Sache todernst
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