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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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und ging in Streik, fast einen Monat lang stand er tagsüber in der Novemberkälte und protestierte gegen die Verschwendung von Steuergeldern, während mein Vater sich klammheimlich kaputtlachte und wir Willi zeitweise etwas Hühnerbrühe brachten.
    Auf dem gleichen Misthaufen aus Leichtgläubigkeit und Naivität war auch das nächste Projekt meines Vaters gewachsen, das pragmatisch »Frau für Willi« lautete. Mein Vater war sicherlich nicht der richtige Ratgeber, wenn es darum ging, eine Frau kennenzulernen. Zwar war er durchaus nicht unattraktiv (manche behaupten sogar, er sähe Pierre Brice ähnlich, ich würde das bestätigen, allerdings nur von hinten und aus 200 Metern Entfernung), aber er wusste, ähnlich wie Wilfried, nur wenig mit dem weiblichen Geschlecht anzufangen. Ja klar, er hatte meine Mutter rumbekommen und war damit schon weit erfahrener als Wilfried. Trotzdem war mein Vater nicht sehr geschickt im Umgang mit seinen Kolleginnen, und auch der kleine Kreis von Schülermüttern, die ihn klammheimlich anhimmelten, wurde mit dem gleichen rheinländischen Pragmatismus bedacht wie der Rest der Welt.
    Wir saßen im strammen Herbstwind im Park, als Onkel Wilfried begann, mir und meinem Vater von Gundula zu erzählen. Sie sei die schönste Frau, die er je gesehen habe, was schon damals auf aufkeimenden Irrsinn oder eine beachtliche Sehschwäche hindeutete. Zu sagen, Gundula Götze sei schön, war ein ebenso großer Fehlgriff, wie zu behaupten, sich die Hornhaut des Dalai Lama aufs Käsebrot zu hobeln, sei appetitlich.
    Willi war verliebt, und immerhin handelte es sich bei dem Ziel seiner Begierde um einen Menschen, und das war, nachdem er meinem Vater einst begeistert einen »Stern«-Artikel gezeigt hatte, in dem eine Frau eine langjährige Beziehung zu ihrem Toaster pflegte, fast schon überraschend.
    Gundula sei eindeutig eine »Eins«, wertete Wilfried, er hatte sich irgendwann im Referendariat angewöhnt, alles in Notensysteme einzuordnen, was zwar menschenverachtend, aber irgendwie pragmatisch war. Leider offenbarte er den Betreffenden sein Notensystem auch immer direkt, was nicht selten zum Eklat führte. Bei uns zu Hause am Esstisch hatte er meiner Mutter einmal offenbart, dass ihre Suppe höchstens eine »Vier plus« sei, schlecht gewürzt, mit kloakenartiger Konsistenz und zu wenig Liebe gekocht, um in höhere Wertungsregionen vorzustoßen. Mein Vater würgte fast den Löffel mit herunter und machte Willi hinter dem Rücken meiner Mutter »Kopf ab«-Gesten, aber bildliche Signale wie diese gingen an Onkel Willi gänzlich vorbei. Als meine Mutter nachfragte, was Wilfried mit »Vier plus« meinte, erläuterte er ganz sachgemäß sein Notensystem und schob, um die Situation erfolgreich in einem atomaren Supergau enden zu lassen, noch hinterher:
    »Das Gleiche gilt auch für Frauen, du bist beispielsweise eine Drei minus, deine Haut ist von der Sonnenbräune welk geworden und deine frühere Schönheit ist über die Jahre immer mehr verloren gegangen, vielleicht lag es an den Geburten, vielleicht hast du dich auch einfach gehen lassen. So oder so, für höhere Wertungsregionen bist du ungeeignet, Ingrid, ich empfehle plastische Chirurgie«, schlug Wilfried verbal noch ein paar Nägel in seinen Sarg.
    Ich war erst neun und musste lachen. Meine Mutter nicht. Erst blieb sie relativ ruhig, aber eine solche Empfehlung von jemandem zu empfangen, der selbst wie eine Mischung aus einem westfälischen Protestschwein und Karl Dall aussah, immer mit offener Hose am Ententeich saß und das Haus nur über das Wohnzimmerfenster verließ, kränkte ihren Stolz doch zu sehr. Der Teller Suppe landete an der Zimmerwand und Wilfried vor der Haustür. Er bekam vorläufig Besuchsverbot, was dazu führte, dass er eine ganze Weile wie ein geprügelter Hund an unserem Gartenzaun wartete, wenn er meinen Vater und mich abholen wollte.
    Wir waren schon ein eigenartiges Trio, ein Paranoiker, ein hämisch grinsender Studienrat und ein Zwerg mit einer Mütze, aus der sich zwei pinke Schweineöhrchen hervorschoben. Selbst die Enten schienen uns mit einer gewissen Skepsis zu betrachten, besonders den dicken Mann mit der offenen Hose, der sich vor sie setzte und ihnen das trockene Brot wegfraß.
    »Weißt du, Wilfried, wenn du diese Gundula wirklich kennenlernen willst, helfe ich dir natürlich!«, stellte mein Vater mit einem so ungewöhnlichen und wenig vertrauenerweckenden Altruismus fest, dass sogar die Enten kurz schlucken

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