Lehrerkind
Wilfried erhofft hatte, sie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, woraufhin der gläserne Phallus in seiner Hand fast zu Boden fiel.
Wilfried regte sich schrecklich auf, sein roter Kopf schien zu bersten, dann schrie er ihr, bevor sie sich im Buchladen einschloss, laut hinterher:
»Aber Frau Götze, bitte seien Sie doch nicht so, fassen Sie bitte an mein Liebesthermometer.«
Frau Götze aber rief die Polizei, die kurz darauf einen Mann festnahm, der immer noch laut wehklagend vor dem Buchladen stand und mit dem riesigen Dildo in seiner Hand herumfuchtelte.
Mein Vater und ich gaben unsere Komplizenrolle spontan auf und wurden zu Beobachtern von Wilfrieds Verhaftung. Wie er da traurig auf dem Rücksitz saß, immer noch das Liebesthermometer in der Hand, und uns durch die Panzerglasscheiben ansah wie ein Goldfisch im Mixer, das tat sogar meinem Vater leid. Er brüllte gegen das blanke Glas: »Wir besuchen dich, Wilfried!« Bei jedem Zurechnungsfähigen hätte eine solche Aussage Wut hervorgerufen, Wilfried winkte nur und lächelte.
»Das ist nicht gut gelaufen«, konstatierte mein Vater nüchtern, während der Polizeiwagen durch die Fußgängerzone davonholperte. Der Regen wurde stärker, und ich verbarg mich abermals unter seiner Jacke.
Dass das mit Isabella Calotti nicht gut gehen konnte, ist im Nachhinein also keine Überraschung, denn ich war ebenso wie Onkel Willi schlecht beraten: Ausgerechnet auf meinen Vater hatte ich gehört, den Eros der Lehrerzimmer. Er hatte mir den im Nachhinein leicht als völligen Irrsinn enttarnbaren Plan offeriert, ich solle Isabella einfach eine möglichst große Menge Eis kaufen und dann so lange auf sie einreden, bis sie sich freiwillig ergeben würde. Bis auf den minimalen Unterschied, dass aus »ergeben« dann »übergeben« wurde, ging der Plan meines Vaters ja sogar auf.
Ich hatte ihr also fünfzehn Kugeln bestellt und der verdutzten Bedienung siegessicher zugenickt. Dann hatte ich gewartet, bis der riesige Eimer voll Eis angeliefert wurde. Isabella begann, von einer absurden Höflichkeit erfüllt, zu essen, und ich sprach in einem nicht enden wollenden Wortschwall einfach von allem, was mich so beschäftigte.
Da mein Wahrnehmungskosmos mit neun Jahren jedoch relativ beschränkt war, erzählte ich Isabella engagiert, aber erfolglos von meinen Wrestlinghelden, von David Hasselhoff und dem A-Team. Während sie mich anschaute, als würde ich auf Hebräisch über Schlagbohrer philosophieren, hatte ich das Gefühl, sie sei tatsächlich gebannt von meiner Erzählung. Etwa dreißig Minuten und sieben Eiskugeln später sah Isabella Calotti aus, als hätte sie eine Darmspülung mit Tabasco hinter sich. Ihr Gesicht wechselte im Sekundentakt die Farbe, und ihre Mimik war am besten als bizarr zu bezeichnen. Plötzlich, ich redete mittlerweile von meiner Leidenschaft für die »Teenage Mutant Hero Turtels«, die für Mädchen damals ähnlich unnachvollziehbar waren wie heute eine Folge »Sex and the City« für einen albanischen Kartoffelbauern, explodierte mein italienisches Date vor mir und schleuderte eine Soße aus waldmeisterfarbenem Mageninhalt über den Tisch.
Als ich am Abend nach Hause kam, stand mein Vater schon erwartungsvoll im Hausflur und hoffte auf ein positives Fazit meines ersten romantischen Kontakts zur Frauenwelt. Wahrscheinlich hatte er die Hoffnung, ich würde glückstrunken in seine Arme fallen und ihm für seinen genialen Plan danken. Stattdessen passierte ich ihn wortlos und ging mit gesenktem Kopf in mein Zimmer. Kurz bevor ich die Tür schloss, hörte ich ihn abermals resümieren: »Das ist nicht gut gelaufen.« Ich dankte Gott dafür, dass ich anders als Onkel Willi immerhin die Nacht nicht in einer Arrestzelle verbringen musste.
Der Sportlehrer
Der Sportlehrer leidet berufsbedingt unter einer Art mentaler Vorhautverengung. Das liegt zum einen daran, dass er das einzige Fach unterrichtet, das man vom intellektuellen Anspruch her auch einem Schwarzbrot überlassen könnte, zum anderen daran, dass der Beruf »Sportlehrer« das Sammelbecken für alle ist, die wegen sadistischer Neigungen von der Fremdenlegion abgelehnt worden sind.
Wo die anderen, der humanistischen Bildung verschriebenen Kollegen eher versandete Späthippies sind, ist der Beruf des Sportlehrers die Auffangstation für geistige Kleingärtner, die in ihrer Freizeit Tauben züchten, Miniatur-Schlachtschiffe nachbauen und CDU wählen. Der Sportlehrer an sich leidet im Schulbetrieb
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