Lehrerkind
eine Ungleichheit ausdrücken, also müssen Sie ›als‹ verwenden.« Selten war mein pedantischer Vater für mich ein größerer Held. Ein strahlender Ritter auf einem weißen Ross, im Kampf für gute Sprache mit dem Duden in der Hand.
Heute würde man sagen: Jutta Krause sah aus, als stände sie vor der letzten Dschungelprüfung. Ihr Kopf bekam eine völlig unnatürliche Farbe, und die Tirade an Beschimpfungen, die sie vor dem Zuschlagen der Tür von sich gab, hätte jeden Gangsterrapper zum Erröten gebracht.
»Eine gänzlich unmögliche Frau, Bastian, da hast du nichts zu suchen«, sagte mein Vater, dann musste er lachen.
Hinter der Tür verschwand auch das bleiche Gesicht von Timo Krause. Ein paar Monate später verließ er unsere Klasse und kam in Obhut einer Pflegefamilie.
Er ist heute Deutschlehrer.
Elternsprechtag
Mein Vater war schon die ganze Woche schlecht drauf, aus seiner sonstigen Einsilbigkeit war ein Gemisch aus Grunz- und Stöhnlauten geworden, das man nicht mehr Sprache nennen konnte. Meine Mutter putzte nervös Fenster und schrubbte dabei fast ein Loch ins Glas. Spannung lag in der Luft, es war die Art von Stimmung, bei der man sich als Kind gern in sein Zimmer verzieht und in die heile Welt einer Benjamin-Blümchen-Kassette flüchtet.
Ein Blick auf den Kalender verriet den Grund der apokalyptischen Gemütslage meines Vaters, es war der Tag, den jeder Lehrer heimlich fürchtete: Elternsprechtag.
Elternsprechtag ist für Lehrer das, was für die Kanzlerin eine Pressekonferenz nach der gescheiterten Vertrauensfrage ist. Man muss sich für die Fehler anderer rechtfertigen, sich von allen Seiten Vorwürfe anhören, und man tritt mit allem, egal was man sagt, irgendjemandem auf den Schlips.
Mein Vater hasste das, in einer Stunde würde er wieder auf einem kargen Holzstühlchen vor einer besorgten Mutter sitzen und versuchen, ihr zu vermitteln, warum ihre kleine Prinzessin Jessica, die so klug wie ein Kasten Brause war, die siebte Klasse wiederholen musste. Solche Mütter machten ihr Verhältnis zum eigenen Kind immer besonders deutlich, indem sie das schöne Wort »meine« vor jede Namensnennung klatschten:
»Meine Jessica raucht doch nicht … So redet meine Jessica doch nicht … Meine Jessica soll das gesagt haben, das glaube ich nicht!«
Mein Vater schaltete dann in den geistigen Autopilot. Über die Jahrzehnte als Lehrer hatte er ein entsprechendes Notfallvokabular aufgebaut, um den Eltern schonend zu vermitteln, dass ihre Thronfolger bestenfalls zum Briefebeschweren taugten und einer sonnigen Zukunft im Plattenbau entgegenschielten.
»Es gilt einfach Vergleichbarkeit zu bewahren, man muss Bildungschancen schaffen und trotzdem den Ansprüchen der Kinder adäquat entgegenkommen.«
Deutlicher formuliert: »Ihre Tochter ist zu doof zum Türstoppen. Eigentlich stoffwechselt sie in der Schule nur vor sich hin. Die einzige Berufschance, die ich sehe, wäre, dass sie sich später vor große Schaufenster stellt, mit den Armen wedelt und so Vögel vor dem Aufschlagtod bewahrt. Eine Art ornithologische AB-Maßnahme, wenn Sie so wollen.«
Die Mütter brachen dann oft in opernreifen Szenen zusammen. Jessicas lang angestrebtes Medizinstudium (»Sie sieht doch so gerne Blut, Herr Bielendorfer!«) rückte in weite Ferne, und mein Vater bekam den ganzen Zorn der verschmähten Erzeuger ab.
Dann hieß es meist, der Lehrer habe das Kind absichtlich sabotiert, seine Potenziale nicht erkannt und böswillig alle Zukunftschancen verbaut.
Ob solche Eltern auch mit dem Piloten ihres Ferienfliegers über die Route diskutierten?
Ein Jahr zuvor hatte mein Vater sich fast den halben Vormittag mit einer aufgebrachten Mutter herumschlagen müssen, die das Gespräch mit dem denkwürdigen Satz »Wie kommt dat mit dat schlechte Deutsch von den Justin?« eröffnete. Dass Justin des Deutschen nur rudimentär mächtig war, überrascht den geneigten Beobachter vermutlich nur wenig, dem Justin seine Mutter war jedoch schockiert, was sie mit der schönen Wortstafette »Sie machen dem Justin seine Zukunft im Arsch. Watt sind Sie bloß für’n Mensch?« zum Ausdruck brachte.
Dass sich der Justin schon morgens auf dem Schulklo mithilfe einer Wasserpfeife zudröhnte, den Großteil seiner Zeit die Klassenstreber vermöbelte oder gar nicht erschien, war in dem Bewusstseinskosmos der Frau kein Thema.
Eher waren der Lehrer und das ganze Schulsystem schuld an »die schlechte Deutsch«, das sich auch über die
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