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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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schälte sich ein kleiner Kopf hervor, der noch nicht die Kraft hatte, sich zu heben. Ich nahm den Schleimbrocken und legte ihn Frida hin, die begeistert an dem Siff leckte, woraufhin sich langsam die Konturen eines Körpers herausbildeten.
    »Boa, wir müssen Namen geben, Herr Bastian, isch hab Idee: Einen sagen Sie, einen sag ich«, schlug Fati vor. Die Idee mit dem Dönerspieß war wohl anhand des wirklich süßen Etwas, das da vor uns lag, aus seinem Kopf verschwunden. Ich fand den Vorschlag demokratisch, auch wenn mir klar war, dass mir Fatis Namenswahl nicht gefallen würde. Ich war schon froh, wenn das Lamm nachher nicht »Mighty Morphin Power Ranger« oder »Pikachu« hieß.
    »Gut, dann gibst du dem ersten einen Namen, Fati, und ich dem zweiten«, vermittelte ich – zugegeben etwas abwesend, da meine Arme über und über mit dem Inneren von Frida zugekleistert waren. Trotzdem herrschte eine eigenartig selige Stimmung, die Geburt, so eklig die Sache auch war, hatte mich und Fati verzaubert.
    »Isch nenn meines … mmmh … Bushido! Ja, Bushiiiiiidoo, das ist sein Name«, proklamierte Fati das Recht, das ich ihm zuvor unglücklicherweise verliehen hatte.
    »Ach Fati, nein, doch nicht so was, das Lamm ist doch kein Gangsterrapper, das ist ein Tier«, schaltete ich in einen pädagogischen Gestus, der mich selbst überraschte. Ich klang wie meine Mutter, als ich meinem Meerschweinchen mit fünf Jahren damals den Namen »Knacki« geben wollte. Ein paar Idioten aus der Nachbarschaft rufen mir den Namen jetzt, zwanzig Jahre später, immer noch hinterher.
    »Dann nenne ich ihn Tyrannosaurus Rex, der ist ein Tier, Herr Bastian«, sagte Fati empört. Auch wenn er biologisch im Recht war, konnte ich seinen Vorschlag gerade noch entkräften.
    »Aber Fati, das ist doch ein Mädchen, du kannst doch kein Mädchen Tyrannosaurus Rex nennen«, schlug ich ihm mit einer eigenartig didaktischen Stimme vor – anscheinend hatten meine Eltern mir doch etwas vererbt. Es stimmte, die Schafe waren beide weiblich, was die Namenswahl für Fati erheblich einschränkte, sein kindlicher Kosmos bestand fast nur aus männlichen Actionhelden, Rappern und Dinosauriern, die für ihn ebenso alle männlich waren. Zum Glück kam er mir jetzt nicht mit »Bitches« oder »Chicas«. Am Ende einigten wir uns darauf, dass das erstgeborene Lämmchen den Namen von Fatis jüngster Schwester tragen solle, ein Schaf mit türkischem Namen war zwar sehr unorthodox, aber irgendwie passte Funda ganz gut zu dem kleinen Knäuel.
    Ich gab meinem Lamm den altdeutschen Namen Paula, weil er irgendwie ländlich und bodenständig klang, weitere Attribute außer »doof« und »kotend« wollten mir zu Schafen nämlich nicht einfallen.
    Ich versah Fati mit der ehrenvollen Aufgabe, die Lämmer zu bewachen, und ging zum Büro meines Chefs. Herr Gertelein war ein wahnsinnig liebenswerter Mensch, dessen heiteres Wesen über die Jahre als städtisch beschäftigter Sozialpädagoge jedoch massiv unter ständigen Budgetkürzungen und einem Wust an absurden Vorschriften gelitten hatte. Sein berufsinhärenter Idealismus war über die Jahre immer mehr verblasst, und aus dem Feuer, das in ihm irgendwann mal für den Erhalt der Kindertagesstätten gebrannt haben musste, war ein schwaches Glimmen geworden, das bei jedem meiner seltenen Besuche kurz vorm Erlöschen schien. Er trug immer sehr farbenfrohe Hemden von der Stange und einen Zopf, der im Bürokratiedschungel langsam ergraut war.
    »Chef, wir haben zwei Lämmer bekommen«, berichtete ich.
    »Woher?«, fragte Gertelein geistesabwesend, er füllte gerade irgendeinen sinnlosen Antrag für öffentliche Subventionen aus. Gelsenkirchen war so pleite, dass man schon in der Dritten Welt für uns Spenden sammelte, da blieb sicher nichts für sozialtätige Einrichtungen übrig.
    »Wie, woher?«, fragte ich verdutzt. »Aus Frida«, sagte ich dann, als wäre Frida ein Dorfkreis in Ostpommern.
    »Aha«, murmelte er völlig abwesend. Irgendwo in dem kleinen stickigen Büro zwischen den Buchenfurnierschränken und den Stapeln erfolgloser Subventionsanträge musste doch mein Chef verborgen liegen?
    »Chef, was machen wir jetzt mit den Lämmern?«, fragte ich verunsichert.
    »Ich komm gleich …«, murrte er mich knorrig an, drängte mich aus dem Zimmer und schlug die Tür vor meiner Nase zu.
    Als ich wieder in den Stall kam, hätten eigentlich nur noch die Heiligen Drei Könige und ein Kamel gefehlt: Fati saß wie der niedergekommene

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