Lehrerkind
Boden des Geheges herumlag … das Huhn lag drunter.
»Boa, was für Opfa«, sagte Fati so empathisch wie möglich und trat gegen den Zaun. Irgendwie erinnerte mich das Huhn und Fatis Kategorisierung an meine eigene Schulkarriere.
Irgendein Heini hatte Backsteine auf die Hühner geworfen, und da die Urenkel der Dinosaurier mit eindeutig mehr Körper als Grips gesegnet sind, waren sie wohl einfach stehen geblieben und hatten gehofft, der Steinregen werde bald enden. Jemand hatte unsere gesamte Hühnerfamilie gesteinigt, wenigstens waren die meisten Tiere wohl relativ schnell tot gewesen, deshalb musste ich nicht Marcel und seine Erlösungsschaufel rufen.
»Dümme Vichas, Abuuuu, gibt’s jetzt Hähnchen, Herr Bastian?«, fragte Fati, nicht ohne ein kleines Lächeln über seinen lichten Oberlippenbart huschen zu lassen.
»Willste echt? Wir füttern die Hühner aber auch mit Schweineschinken«, log ich, um die ganze Diskussion schnell abzuwürgen. Die toten Hühner reichten mir für heute.
»Sik de lan, Schwein, ey, dreckiges Tier, das fressen die, bah, Abuuu«, schrie er und verschwand fluchend hinter dem Hühnerkäfig.
»Ich such dem Bastard, der die gekillt hat«, rief er noch. Detective Fati hatte Witterung aufgenommen. Die Auswahl der Verdächtigen war groß, immerhin waren alle Kinder, die unsere Einrichtung besuchten, mehr oder minder verhaltensauffällig. Manche waren sogar so eindeutige Soziopathen, dass Hühner-Steinigung eigentlich kaum ausreichend Erregungspotenzial für sie bot, da hätten schon eine Sense und eine Herde Ziegen rangemusst.
Plötzlich kam Fati wieder um die Ecke gebogen, die Ermittlungen hatten wohl nicht lange gedauert. Reste eines Brötchens hingen in seinem Schnurrbart. Der Junge war zehn Jahre jünger als ich und hatte trotzdem mehr Bartwuchs, dachte ich, als Fati mir die nächste Neuigkeit verkündete.
»Abuuuu, die Schaafsvichas bluten voll, ey, Herr Bastian, Abuuuu!«
Die nächste Katastrophe erwachte bildhaft in meinem Kopf zum Leben, ich sah schon einen kleinen Huf unter einem überdimensionalen Backstein hervorschauen. Als ich den angrenzenden Schafstall betrat, lag Frida, das Leitschaf, in einer Lache aus Blut und schaute mich mit dem gleichen ausdruckslosen Blick an, mit dem sie seit Jahren die Welt um sich herum taxierte. Schafe waren einfach keine sonderlich ausdrucksstarken Tiere, und nur an Fridas röchelndem Atem, der in der kalten Morgenluft zu sehen war, konnte man erahnen, dass es ihr nicht gut ging.
Ich suchte den ganzen Körper nach Verletzungen ab, Backsteine waren keine in Sicht, immerhin. Plötzlich drehte sich Frida und unter dem beachtlichen Gewöll aus Haaren, Blut und Dreck schob sich ein kleiner Kopf hervor, der mich verstört anblickte.
»Määäh«, plärrte mir das kleine Wesen entgegen.
»Abuuuu, ein Lamm, lecker Lamm«, meinte Fati fachmännisch. Im Geiste verdönerte er das Neugeborene wahrscheinlich schon und schraubte ihm eine Zwiebel auf den Kopf.
Ich zog den kleinen Körper unter seiner Mutter hervor, deren Bauch wie ein riesiger Blasebalg auf und ab pumpte. Das kleine Lamm stand bereits auf wackligen Beinen und schaute mich mit wachem Blick an. Warum war keinem aufgefallen, dass das Schaf schwanger war? Wahrscheinlich weil die Tiere einen Großteil der Zeit wie eine Gruppe vollgesogener Tampons auf der Wiese im Regen standen und monoton vor sich hin kauten – dass da ein Geschlechtsleben stattfand, war dezent an uns vorbeigegangen.
»Abuuuu…«
»Jetzt hör mal mit dem Abuuuu auf, Fati, das ist ja nicht zum Aushalten«, stieß ich genervt hervor, deutlich überfordert mit meiner Hebammenaufgabe.
»Aber Chef, Herr Bastian, da guckt was aus dem Viech raus, Abuuuu«, erwiderte Fati, nicht ohne auf und ab zu springen.
Das stimmte. Aus dem Schaf ragte ein kleiner Huf hervor, der ungleichmäßig zuckte.
»Krass, die hat eines gefressen«, stellte Fati im Modus eines erfahrenen Veterinärmediziners fest.
Ich verdrehte die Augen und überlegte kurz, ob ich Fati jetzt etwas über das Wunder der Geburt erzählen sollte, da ereignete sich ein solches direkt vor uns. Frida bekam noch ein zweites Lamm.
»Igiiiiit, is das eklig, Abuuuu«, kommentierte Fati den Vorgang. Auch wenn ich es nicht sagte, ich war seiner Meinung. Frida schoss uns ihr Neugeborenes mit einer Wucht entgegen, dass man den Eindruck bekam, jemand wäre gerade mit einem Schaufelbagger über sie gefahren. Zwischen Litern aus Schleim, undefinierbarem Gekröse und Blut
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