Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
Vom Netzwerk:
Heiland zwischen den Schafen und grinste selig. Der Kleine war zwar ein Vorzeigebeispiel fürs gescheiterte Bildungspaket und sozialisiert wie eine Hyäne, die tapsigen Wollknäuel schienen ihn aber tatsächlich zu rühren.
    »Na, wie geht es unseren Lämmchen?«
    »Ach Chef, voll gut, Funda läuft schon, sehense, Abuuu.«
    Das stimmte, das Erstgeborene taperte bereits etwas orientierungslos und benommen durch den Stall. Mein Lamm Paula dagegen war wohl auch in puncto Aktivität mein Gegenstück, es lag noch immer träge auf dem Stallboden und pflügte mit seinen schmalen Beinchen das Stroh um.
    Schaf kann nix, dass passt ja wohl, dachte ich und hob Paula mit der Handfläche hoch. Doch ihre Beine knickten einfach schlaff weg, und sie plumpste unsanft auf den Stallboden.
    »Was hat die Schaf?«, fragte Fati.
    »Das Schaf, Neutrum, Fati, Neutrum«, schnodderte ich unwirsch, der didaktische Auftrag durfte schließlich nicht verloren gehen.
    »Was hat die Schaf Neutrum?«, fragte er erneut.
    »Hüftdysplasie«, röhrte Gertelein in den Stall. Er stand wohl schon ein paar Augenblicke hinter uns und besah sich das Treiben mit ausdrucksloser Miene.
    »Das muss weg«, war sein nüchternes Fazit und das frühe Todesurteil für Klein Paula.
    »Wie weg?«, fragte ich, fast hätte ich meinen Satz um ein »Abuuu« ergänzt.
    »Wenn ein Schaf in der ersten Stunde nicht aufsteht, kann man ihm nicht helfen, dann kommt es weg, oder möchtest du etwa den Tierarzt bezahlen?«, fragte er trocken.
    Jeden Augenblick konnte der stumpfe Marcel mit seiner auf Hochglanz polierten Todesschaufel um die Ecke biegen. Um Zeit zu gewinnen, erwiderte ich daher erst einmal gar nichts und blieb wie versteinert sitzen. Frida hatte sich mittlerweile dem gesunden Lamm Funda zugewandt – auch das Tierreich wurde von Pragmatikern regiert, Darwin hätte seine Freude gehabt.
    Obwohl das Verhältnis zu meinen Eltern eine dauernde Zerreißprobe war und ich nach dem gerade absolvierten Abi-Überraschungserfolg ernsthaft darüber nachdachte, meine lange gehegten Pläne, auf einem Containerschiff als Hilfsmaat anzuheuern, in die Tat umzusetzen, fielen mir in dieser Sekunde als einzige Support-Group für diesen Schlamassel meine Eltern ein.
    So rief ich also meinen Vater an, während sich mein Chef bestimmt schon beim örtlichen Schlachter erkundigte, was man für 100 Gramm neugeborenes Lamm bekam.
    Während mir die dumpfe Leere des Glasfasernirwanas entgegenpiepte, bereitete ich mich im Geiste auf die mögliche Antwort meines Vaters vor:
    »Bei dir hängt wohl die Blutwurst im Christbaum! Sind wir die Wohlfahrt, oder wie? Ein Lamm? Damit lass ich mir höchstens meine Schuhe auspolstern. Bevor mir so ein ungepflegtes Biest ins Haus kommt, trinke ich lieber WC-Reiniger oder kippe mir Skorpione in die Hose. Ruf hier nie wieder an … NIE WIEDER!«
    Da meine Eltern, wie dem geneigten Leser mittlerweile aufgefallen sein dürfte, jedoch dezent bescheuert sind und sich dies zum Glück nicht nur im Negativen, sondern manchmal auch im Guten manifestiert, wich die wirkliche Antwort meines Vaters erheblich von meiner Vorstellung ab.
    Vater: (Husten, Hundegebell) »Ja, Bielendorfer?«
    Ich: »Hör mal, auf meiner Arbeit gibt es ein neugeborenes Lamm, das nicht aufstehen will, mein Chef will es zum Schlachter geben … hallo, HALLO?«
    Das plötzliche Rauschen in der Leitung konnte nur eines bedeuten: einfach aufgelegt.
    Zehn Minuten später jedoch tauchte mein Vater mit einem gelben Müllsack bewaffnet vor dem Schafstall auf und schaute hochwichtig, als würde er gleich den Fall der Berliner Mauer bekannt geben.
     
    Als dieser bedeutungsvolle Tag endete, die Sonne ein paar letzte Strahlen über das graue Firmament Gelsenkirchens schob, betrat Gertelein den Schafstall, um das Lamm Paula seiner gottgegebenen Bestimmung als Dönerfleisch zuzuführen. Als er das rostige Vorhängeschloss aufsperrte und durch die stickige Luft des Geheges trat, in dem ein paar Schafe ihn dösig ignorierten, fand er im Stall nur einen kleinen Jungen mit Schnurrbart und ein Lamm namens Funda vor, das der Aussage des Jungen nach bereits »Sitz, Platz und Stell dich tot« beherrschte. So stellte ich mir die Szene jedenfalls vor, als mein Vater und ich (zum ersten Mal seit dem WM-Sieg 1990) in größtem Einverständnis den Tatort verließen.
    Das zweite Lamm Paula sollte nämlich nicht auf einem Dönerspieß, sondern in unserem Wohnzimmer enden, da es mithilfe eines beherzten Pädagogen und eines

Weitere Kostenlose Bücher