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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Lächeln auf. Am liebsten hätte ich ihn vor der gesamten Klasse den Tafelschwamm fressen lassen.
    Mein Vater ignorierte mich zunächst und las weiter, als ich dann aber zu penetrant wurde, schob er seinen Stuhl quietschend vom Tisch weg, erhob sich und trug einem Jungen aus der ersten Reihe, der wie ein Elch schielte, auf, das Gedicht laut zu Ende zu lesen. Als er zur Tür kam und Paula hinter ihm hertippelte wie ein Messdiener, ging ein lautes »Ooouuuuh« der Entzückung durch den Klassenraum.
    »Was machst du denn da«, fuhr ich ihn an, als wir auf dem Flur standen.
    »Ich unterrichte, falls du es noch nicht weißt, ich bin Lehrer!«, schnauzte mein Vater genervt zurück – diesen Satz hatte ich heute schon einmal gehört.
    »Ich meine doch mit dem Schaf«, röhrte ich wütend. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich nicht doch nur einen ausgestorbenen Dialekt des Gälischen sprach, anders war nicht zu erklären, dass meine Eltern keine meiner Fragen zu verstehen schienen!
    »Deine Mutter hat Migräne, das Schaf plärrt, und irgendwo musste ich ja damit hin …«
    Ich beendete die unglückselige Diskussion ohne jeden weiteren Kommentar, klemmte mir Paula unter den Arm und wackelte wie eine etwas abgewrackte Diva den Schulflur entlang. Hinter mir gurrte mein Vater nur »Na warte«, bevor er wieder die Klasse betrat.
    Die ganze Sache wird langsam einfach zu viel, dachte ich, während Paula auf meinem Arm kreischte, als würde ich sie in Geiselhaft verschleppen.
    Gerade war ich am Ende des Flurs angekommen, als mir Josefine Seifler entgegenkam, ein Mädchen, das ich schon während meiner Schulzeit heimlich angehimmelt hatte. Sie war eine Klasse unter mir gewesen, befand sich jetzt in den Abiturvorbereitungen und war von so ausnehmender Schönheit, dass sie die letzten dreizehn Jahre zu Recht keine Notiz von mir genommen hatte.
    Sie wandte sich mir lächelnd zu, worauf ich erschrak, bis ich mich erinnerte, dass ich ein plärrendes Lamm in der Armbeuge bei mir trug.
    »Och, ist das süüüüß, wie süüüß ist das denn! Ist das deins?«, fragte Josefine. Eine honigfarbene Locke fiel ihr ins Gesicht, und ich war am Ende.
    Hätte mich ein Freund etwas so Offensichtliches gefragt, wäre meine Antwort wahrscheinlich so ausgefallen: »Nein, nein, ich trag hier nur die Lämmer vom Bauern spazieren, damit sie auch mal eine deutsche Bildungseinrichtung sehen, bevor man sie an griechische Imbisse verteilt, du Idiot.« Bei Josefine hingegen ging mir nur ein schwaches »Ja, ja … äh« über die Lippen.
    Sie streichelte Paula, strich mit ihren Klavierspielerfingern über ihre flache, weiche Stirn, und langsam verstummte die Sirene in meiner Armbeuge. Nach Wochen des Schlafentzugs und der Entbehrung jeder Selbstpflege sah ich aus wie ein irrer Landstreicher, dieser Umstand wurde aber anscheinend durch Paulas ausgesprochene Niedlichkeit neutralisiert.
    »Du bist doch der Sohn von Herrn Bielendorfer«, fragte Josefine scheu – ich zögerte mit meiner Antwort, denn normalerweise lief diese Frage immer darauf hinaus, dass ich kurz später den Arzt aufsuchen musste.
    Ich nickte.
    »Dein Vater ist echt ein super Lehrer«, sagte sie zu meiner Verwunderung. Sie hatte einen Arzt wohl nötiger als ich.
    »Danke …«, lispelte ich scheu.
    »Wenn du willst, können wir ja mal ein Eis essen gehen«, schlug sie vor. In meinem Kopf sah ich Isabella Calotti vor mir, wie ihr die Waldmeistereiscreme unter Hochdruck aus der Nase schoss.
    »Mmmh, gern«, stammelte ich und verbeugte mich in einem Maß, dass es wahrscheinlich schon eigenartig wirkte. Dann watschelte ich durch die noch offen stehende Tür, nicht ohne den wippenden Kopf meines Lamms mit einer gewissen Freude zu mustern.
    »Gutes Lamm«, sagte ich.
    »Määääh«, schallte es zurück.

Lernfähig wie eine Amöbe
    Bevor ich also endgültig den Verstand an der Pforte der Kita würde abgeben müssen, sollte die wenig zivile Plackerei im Namen des Staates nun vorzeitig vorbei sein. Ich stand noch immer fassungslos in unserem Wohnzimmer und strich mit meinem Daumen über das Schreiben des Zivildienstamts. Nie wieder, ja wirklich nie wieder müsste ich mich morgens neben Marcel Kowalski hocken und dessen allumfassende Dumpfheit erdulden, nie wieder die Ställe ausmisten und mich vom Schafsbock Erwin über den Haufen rennen lassen. Mit einem ungläubigen Zittern setzte ich mich auf die Couch in unserem Wohnzimmer, im Haus herrschte bis auf ein gelegentliches Knistern, das aus

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