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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orth
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Gespräche mit Frau Kniemann
    gerüstet zu sein. Beim Ausziehen stellte ich fest, dass ich noch das gelbe Sportleibchen trug, ich legte mich hin, kuschelte mich in die Kissen, gähnte lang und friedlich und war gerade im Begriff einzuschlummern, als mich ein bestialischer Schock aus den Federn riss. Ich fuhr hoch und schlug mir die flache Hand vor die Stirn. Die Fachkonferenz! Englisch! Heute Mittag! Nach dem Fototermin! Vollkommen vergessen!
    Stattdessen hatte ich auf dem Klo gesessen, anschließend Pascal gesucht und ihn nicht gefunden. Mein Herz begann so rasch zu schlagen, dass ich für den Rest der Nacht kein Auge mehr zutat.

    13

    Völlig verkatert und übermüdet näherte ich mich meinem dritten Schultag im ERG. Ich war die ganze Nacht durch meine Wohnung getigert und hatte händeringend überlegt, welche Erklärung ich für mein Fehlen bei der Fachkonferenz würde abgeben können. Ich befürchtete, dass Frau Klüting den Chef von meinem Fehlen in Kenntnis gesetzt hatte. Dann, dachte ich, im Zug sitzend, wäre alles verloren, da würden auch keine erbeuteten Schlüssel mehr helfen. Da durchzuckte mich der Gedanke an meinen geheimen Auftrag, und ich begann, über Schlüsselentwendungsmöglichkeiten nachzudenken. Wem
    könnte ich die Schlüssel klauen? Wem und wie? Linnemann?
    Nein, der hatte schon sein Fett abbekommen. Miller? Dem Bibliothekar? Der ist zu vorsichtig. Kniemann? Wer weiß…
    Am Eingang zur Schule traf ich Herrn Krämer. Er sagte träge, noch sechs Wochen und drei Tage. Zwei Tage, sagte ich.
    Wieso? fragte er. Sie vergessen den dritten Oktober, sagte ich, und Krämer nickte anerkennend. Im Lehrerzimmer schaute ich mich zunächst nach Frau Klüting um, in dem Bestreben, ihr, so weit möglich, aus dem Weg zu gehen. Sie war zum Glück
    noch nicht da. Vielleicht hatte sie die erste Stunde frei. Dann erst nahm ich die eigentümliche Atmosphäre im Lehrerzimmer wahr, es herrschte ein Tuscheln ringsum, eine unsichtbare Wolke lag um die Köpfe der Lehrer, die von Hand zu Hand Informationen austauschten. Ich wurde von Kleible mit den Worten begrüßt, die Weißen. Ich nickte ihm zu. Josef hob von weitem bedeutungsvoll die Augenbrauen. Die Bombe ist
    geplatzt, sagte Renner neben mir, sie haben angerufen. Wer?
    fragte ich. Die Weißen, sagte Renner. Wen? fragte ich. Den Direktor, sagte Renner. Woher er das wisse? fragte ich. Die Sekretärinnen, sagte Renner, hätten am Nachmittag das
    Telefongespräch belauscht, die Putzfrau habe später die Sekretärinnen belauscht und ihre Informationen an Josef weitergegeben. Dann betrat Klüting das Lehrerzimmer, und ich wäre am liebsten unter einen der Tische gekrochen, sie ging aber an mir vorbei, grüßte mich freundlich und verlor kein Wort über mein gestriges Fehlen. Das erleichterte mich einerseits, beunruhigte mich aber gleichzeitig, da ich nicht wusste, was dieses Nichtbeachten meiner Schuld zu bedeuten hatte. Ich hielt nach Pascal Ausschau, konnte ihn nirgendwo sehen und begann, mir langsam Sorgen zu machen. Da
    klingelte es, und ich musste in die 10d, wo mir die Schüler eine von jenen kleinen, mit Flüssigkeit gefüllten Glaskugeln auf den Tisch gestellt hatten, die man durch Schütteln zum Schneien bringen konnte. Ich begrüßte die Schüler, schüttelte die Kugel, erfreute mich am Schnee, der langsam auf das kleine Haus und die winzigen, in der Kugel befindlichen Menschen fiel, und sagte snow. Die Schüler applaudierten. In der Fünf-Minuten-Pause sah ich den ersten herrenlosen
    Schlüssel auf einem der Lehrertische und atmete schneller. Ich konnte nicht erkennen, wem der Schlüssel gehörte, sah mich nach allen Seiten um, zögerte aber einen Augenblick zu lange, denn mit einem Aufschrei stürzte sich Bruns auf den Schlüssel und riss ihn mit hochrotem Kopf vom Tisch. Dann hörte ich einen lauten Knall und sah endlich Pascal, der soeben eine Flasche Sekt geöffnet hatte und, umringt von sechs, sieben Lehrern, den Sekt in Gläser goss. Pascal, rief ich, was ist los?
    Er reichte auch mir ein Glas, wir stießen alle an und tranken.
    Anschließend sammelte ein Lehrer die leeren Gläser ein und beseitigte die Spuren. Er habe eine Eins bekommen, strahlte Pascal. Wie das? rief ich erfreut und klopfte ihm auf die Schulter. Er habe eine hervorragende Stunde gehalten, sagte er.
    Unvorbereitet? fragte ich. Natürlich, sagte er, hervorragend.
    Der Domkapitular persönlich habe ihm dies bescheinigt. Was er denn gemacht habe, in der Stunde? fragte ich ihn. Pascal sah

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