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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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ihnen gewesen sei. Ich, Kranich, sagte Höllinger, sei nur ein winziger Teil im ganzen Großen. Das Orchester habe lange vor mir zu spielen begonnen. Ich sei hinzugekommen und könne froh sein, dass ich mich setzen und ab und zu einmal einen Ton zum Gelingen beisteuern dürfe. Die Vornoten, sagte er, seien das Rückgrat eines jeden Neuanfängers, und ich, Kranich, wüsste nicht einmal, wo sich die Karteischränke mit den Vornoten befänden. Wie wolle ich da wissen, wie gut oder schlecht die Schüler seien? Ich könnte ja ohne Kenntnis der Vornoten zu völlig anderen Ergebnissen kommen als mein Vorgänger. Abweichungen, sagte Höllinger, Abweichungen seien nur in begrenztem und durch Verwaltungsvorschriften geregeltem Maße erlaubt. Letztlich würden die Abiturnoten der Schüler schon in der fünften Klasse festgelegt. Man müsse sich nur die Statistiken anschauen. Wer in der fünften Klasse schon einen Schnitt von 1,2 habe, der werde auch das Abitur mit annähernd 1,2 ablegen. Ich verlange, sagte Höllinger, dass Sie mir morgen in der sechsten Stunde ausführliche Beweise Ihrer Kenntnis der Vornoten vorlegen, kopieren Sie sich die Akten und lernen Sie sie auswendig. Das ist in Ihrem eigenen Interesse. So können Sie keine Fehler bei der Beurteilung von Schülern machen, und wenn Sie keine Fehler bei der Beurteilung von Schülern machen, werden auch keine Eltern versuchen, Sie in die Enge zu treiben, und Sie ersparen sich einen Haufen juristischer Quälereien. Ich nickte und versuchte mir alles genau zu merken. Dann machte Höllinger eine mir gewichtig und schwer erscheinende Pause. Das sei ein ganz schöner Bock, sagte Höllinger, den ich da geschossen hätte, nicht zu wissen, wo sich die Vornoten befänden. Aber er wolle den Mantel des Schweigens über meine Fehlleistung decken, vorausgesetzt – hier rückte er an seinem Schreibtisch ein wenig näher zu mir hin – vorausgesetzt, sagte er, ich wolle ihm auch ein wenig entgegenkommen. Natürlich, sagte ich froh, gern, alles, was er wolle. Er schwieg einen Augenblick, schien sich noch nicht ganz schlüssig zu sein, dann aber gab er sich einen Ruck, schloss eine Schublade seines Schreibtischs auf, entnahm ein Schriftstück und sagte mir, er habe vor, mich zu seinem zweiten diesjährigen Geheimen Sicherheitsbeamten zu machen. Er sah mich an. Ich sackte zusammen wie ein Kartenhaus. Er habe bislang immer nur einen einzigen Lehrer für diesen Dienst bestimmt, aber schon lange an dem Plan gefeilt, einen zweiten GSB auf das Kollegium loszulassen. Nähme ich das Amt an, so wolle er nicht mehr über all meine Verfehlungen, die ich mir bereits zu diesem frühen Zeitpunkt im Schuljahr geleistet hätte, sprechen. Er wolle sie vergessen. So tun, als hätte ich mich immer tadellos verhalten. Das, sagte er, wäre als Gegenleistung eigentlich genug, wenn man bedenke, was ich schon auf dem Kerbholz hätte: Alkoholexzesse, falscher Wohnort, Vornotenignoranz. Aber, fuhr Höllinger fort, wenn es mir gelänge, bis zu den Herbstferien zwei Lehrerschlüssel zu erbeuten, wolle er sogar so weit gehen, mich von der Liste zu streichen, ich wisse ja bestimmt über die Liste Bescheid, oder nicht? Ich wusste nicht, ob ich nicken oder den Kopf schütteln sollte, und machte eine undurchsichtige Geste. Ob ich also, schloss Höllinger, sein Angebot annähme? Dabei sah er mich an. Mechanisch nickte ich. Da reichte er mir das Schriftstück, auf dem er, wie er sagte, festgesetzt habe, dass ich, Martin Kranich, im laufenden Schuljahr als GSB tätig sei. Dieses Schriftstück hätte ich ständig bei mir zu führen, als Rechtfertigung und Legitimation meines geheimen Amtes, für den Fall, dass ein Lehrer mich beim Ausüben meiner Tätigkeit, dem Stehlen von Schlüsseln, erwischen würde. Damit erhob er sich, reichte mir die Hand und strahlte. Ich lächelte schwach und ging Richtung Tür. Als ich den Griff schon in der Hand hielt, sagte Höllinger noch: Ach, Kranich? Ich drehte mich um. Ja? fragte ich leise. Was ich noch sagen wollte, sagte Höllinger, ohne von seinem Buch aufzublicken, das er soeben aufgeschlagen hatte. Lawinengefahr heißt danger of avalanches .

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    A ls ich das Direktorat verließ, drückte mir eine der Sekretärinnen eine laminierte Karte in die Hand und sagte in tröstendem Tonfall: Ihr Lehrerleihausweis. Ich nickte ihr zu, nahm aber alles um mich her seltsam verschwommen wahr. Ich wusste nicht, ob ich jemanden, und wenn ja, wen, in meine Lage einweihen sollte, und beschloss, mich

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