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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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Wochen, sagte Höllinger, beim Oberschulamt angefragt, ob es nicht möglich sei, einen Satz von jenen Röhrchen zu bekommen, die von Polizisten für Verkehrskontrollen verwendet werden. Er wolle auf diese Weise alkoholisierten Lehrern ein für alle Mal den Garaus machen. Leider habe er bislang noch keinen positiven Bescheid. Ich, sagte ich, habe nichts zu verbergen, Sie können mir glauben, Herr Höllinger. Kein Restalkohol? fragte er. Nein, wieso? fragte ich. Weil man Sie gestern gesehen hat, sagte er. Mich? fragte ich. Wo denn? Beim Verlassen des Ratskellers, sagte Höllinger, in Stuttgart, gegen fünf Uhr, betrunken, gemeinsam mit drei weiteren konspirativen Elementen der Schule. Ich erbleichte. Das müsse, stotterte ich, woher er denn, also auf keinen Fall könne er. Ruhig, ruhig, sagte Höllinger. Es sei ja alles in Ordnung. Ich hätte ihn ganz vorschriftsmäßig angelogen, das sei alles, was er wolle. Er sei vollkommen zufrieden mit mir. Ob ich mich nicht an das Einstellungsgespräch erinnerte, an die vier Säulen des Schulsystems? In ganz und gar vorbildlicher Manier hätte ich den Schein ihm gegenüber gewahrt, ich hätte mich damit als ein würdiger Lehrer dargestellt und keine Schwierigkeiten zu erwarten. Denn was wäre geschehen, sagte er, wenn ich alles zugegeben hätte? Nicht auszudenken, welche Schritte er, Höllinger, in die Wege hätte leiten müssen. Nicht wahr? Ich nickte. Wie dem auch sei, sagte Höllinger und kramte nach Papier und Stift, am heutigen Tag stehe die übliche routinemäßige Überprüfung des Übersichtsverständnisses auf dem Programm. Ich sah ihn fragend an. Er wolle sich vergewissern, sagte Höllinger, ob es mir pflichtgemäß gelungen sei, mir während der ersten beiden Schultage – ein solcher Zeitraum sei zu diesem Zweck ganz und gar hinreichend – ob es mir also pflichtgemäß gelungen sei, mir einen ausreichenden Überblick über die in seiner Schule sich befindlichen und für den täglichen Bedarf eines jeden Lehrers unabdingbaren Akten und Wandanschläge zu verschaffen. Ob ich ihm also sagen könne, wo sich der Vertretungsplan befinde, wo die Personalratsankündigungen, wo die Liste mit den Klassenlehrern, wo die Liste mit den Mentoren für die Oberstufenschüler, wo der Klassenarbeitsplan, und nicht nur, wo sich der Klassenarbeitsplan befinde, sondern auch, mit welcher Farbe man Klassenarbeiten in den Klassenarbeitsplan einzutragen habe im Gegensatz zur Farbe für die unangekündigten Kurztests, die angekündigten Kurztests und die schriftliche Hausarbeitsüberprüfung, ferner wolle er wissen, wo sich die blauen Mappen befänden, in die man die einzelnen Klassenarbeitsnoten unmittelbar nach der Klassenarbeitskorrektur einzutragen habe, um sie damit jedem in der Klasse unterrichtenden Lehrer zur sofortigen Kenntnisnahme zugänglich zu machen, er wolle wissen, wo sich die GEW -Anschläge befänden, wo die des Philologenverbandes, wo man die Elternbeiratsbestimmungen finden könne, wo das Schulgesetz, wo die vorgefertigten Formulierungen zur Erstellung der Kopfnoten in der Unterstufe, wo den Belegungsplan für die beiden Videoräume, wo die Liste für die Themenvorschläge des Pädagogischen Tages, wo die Klassenkonferenz- und Fachkonferenzlisten zur kenntnisnehmenden Abzeichnung für die beteiligten Lehrer, wo das Protokoll der letzten Schulkonferenz und Gemeinderatssitzung, wo das Adressverzeichnis der Angestellten, wo das Ringbuch mit den jeweiligen Stundenplänen der Lehrer … Höllinger fragte einige Minuten so weiter, und die meisten Fragen konnte ich zu seiner Zufriedenheit beantworten. Er hatte eine Liste vor sich auf dem Tisch ausgebreitet, auf der ich mir im Falle einer positiven Beantwortung einen Haken plus zustimmendes Nicken einhandelte, im Falle eines Nichtwissens jedoch einen Strich. Dann lehnte er sich zurück, und ich atmete auf, da ich glaubte, die Überprüfung sei beendet. Er zählte kurz nach, sagte dann, drei Striche, das sei eine durchaus ordentliche Leistung, wenngleich er sich die allerwichtigste Frage für den Schluss aufgehoben habe. Ich sammelte die letzten Reste meiner Spucke im Mund und sah ihn erwartungsvoll an. Er fragte mich, wo sich die Karteischränke mit den Vornoten der Schüler befänden. Ich schwieg. Ob ich das wisse? Ich verneinte. Höllinger schüttelte den Kopf. Diese jungen Lehrer, sagte er, kämen an seine Schule und dächten, sie könnten ganz von vorn anfangen. Dächten, sie bräuchten sich nicht zu scheren um das, was vor

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