Lehrreiche Lektionen Teil 1 - Das erste Semester
Jasmin hatte sich sogar den gleichen Kugelschreiber wie Professor Schuster besorgt. Sie drückte mir die Liste in die Hand. Ich war stinksauer. „Jetzt habe ich dir die Entscheidung abgenommen!“ grinste Jasmin. „Jetzt kannst du auch mit ins Kino gehen.“ Ich hätte sie erwürgen können. Schnell schaute ich mich um, ob jemand die Aktion bemerkt hatte. Doch von den paar Studenten, die unterwegs waren, sah niemand in unsere Richtung. Gleichzeitig stieg die Freude auf den entspannten Kinonachmittag in mir hoch. Jasmin hakte sich bei mir ein. „Jetzt gehen wir noch in die Vorlesung und danach düsen wir ab ins Kino.“ Versöhnlich lächelte sie mich an. Ich war ihr nicht mehr böse, sondern sogar etwas dankbar. Ich konnte doch wohl frei über meine Zeit entscheiden! Und eine verpasste Seminareinheit war kein Weltuntergang. Als wir im Kino saßen, sah ich mich immer wieder unruhig um. „Entspann dich!“ sagte Jasmin. „Niemand wird dich erkennen.“ Sie hielt mir die Popcorntüte hin. Ich griff hinein und steckte das Popcorn so hastig in den Mund, dass ich mich verschluckte. Ich musste so lautstark husten, dass sich einige Zuschauer nach uns umsahen. „Sehr unauffällig!“ kicherte Jasmin. Ich zwickte ihr erbost in die Seite. Sie quietschte erschrocken. „Pscht!“ wies uns eine Dame zwei Reihen vor uns zurecht. „Doofe Ziege.“ murmelte Jasmin. „Sei bitte leise!“ bat ich sie. Sie tätschelte mir beruhigend den Arm. Dann startete der Film. Er war umwerfend gut. Nach nur ein paar Minuten war ich voll und ganz von der Handlung gefangen und verschwendete keinen Gedanken mehr an das Seminar oder meinen Onkel. Nur gegen Ende, als die junge Heldin von Schuldgefühlen getrieben von der Klippe sprang, fühlte ich ein Stechen in der Magengegend. Ich wischte meine Bedenken beiseite. „Danke Jasmin!“ strahlte ich, als wir das Kino verließen. „Ein absolut geiler Film!“ Jasmin nickte bestätigend. „Der kleine Nervenkitzel hat sich doch gelohnt.“
Wie jeden Abend zeigte ich Onkel Albert die Liste mit den Unterschriften. Er sah sie durch und runzelte die Stirn. Dann ging er wortlos in sein Arbeitszimmer. „Cora!“ rief er nach ein paar Minuten, „Komm hier her.“ Ich wurde nervös. Was wollte Onkel Albert von mir? Und warum rief er mich mit so barscher Stimme? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ich beeilte mich, schnell zu ihm zu kommen. In einer solchen Situation war Herumtrödeln nicht von Vorteil. Onkel Albert saß an seinem Schreibtisch und zeigte auf seinen Bildschirm. Zögernd stand ich an der Tür. Er winkte mich näher. „Ich bin schon etwas älter als du,“ begann er „und habe vielleicht nicht mehr die besten Augen. Kannst du bitte lesen, was in dieser Zeile steht?“ fragte er und hielt den Finger an eine Zeile. Ich kam näher und erkannte, dass er meinen Semesterplan aufgerufen hatte. Auf dem Bildschirm war eine Tabelle mit den Seminarterminen von Professor Schuster. Onkel Albert wies auf die Zeile mit dem heutigen Datum. „Entfällt wegen Mitarbeiterkonferenz.“ murmelte ich. Onkel Albert blickte mich ernst an. „Hat das Seminar heute doch stattgefunden?“ fragte er. „Ja!“ rief ich. Meine Stimme überschlug sich. Fieberhaft ratterte es in meinem Kopf, aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Und was war das Thema?“ bohrte Onkel Albert weiter. „Die…es war…ein Referat…über…“ stammelte ich. „Cora!“ unterbrach er mich streng. „Mach es nicht noch schlimmer!“ Mein Kopf war knallrot und heiß. Ich ahnte, dass es meinem Hinterteil bald genauso gehen würde. „Du lügst und ich vermute…“ er sah mir tief in die Augen und sagte die nächsten Worte sehr langsam und überdeutlich: „…du hast eine Unterschrift gefälscht.“ Der Kloß in meinem Hals wurde immer größer. „Onkel Albert!“ begann ich flehend, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. „Ja oder nein.“ forderte er. Mir war gleichzeitig kalt und heiß. Ich fing an zu weinen. „Ich war es nicht!“ verteidigte ich mich. „Wer hat auf deiner Liste unterschrieben?“ Es war ein erbittertes Verhör. „Professor Schuster?“ Ich schüttelte den Kopf. Blitzschnell schoss seine Hand vor und schlug mir auf den linken Oberschenkel knapp unterhalb des Popos. „Au!“ schrie ich auf. „Ich will eine klare Antwort!“ maßregelte er mich. „Professor Schuster?“ wiederholte er. „Nein.“ antwortete ich. „Du?“ fragte er. „Nein.“ flüsterte ich. „Wer dann?“ forschte er weiter.
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