Lehrreiche Lektionen Teil 1 - Das erste Semester
kräftige Hände und einen beherzten Händedruck. Ich wollte die Hand loslassen, doch er hielt meine Hand immer noch umschlossen. „Ich habe dich etwas gefragt.“ sagte er und sah mir dabei tief in die Augen. „Was?“ fragte ich verdattert. „Ich habe dich gefragt,“ erklärte Onkel Albert „ob man bei euch immer Sturm klingelt.“ Ich lächelte. „Nein.“ antwortete ich. Er ließ immer noch nicht los. Langsam wurde es mir unheimlich. „Dann kläre mich darüber auf,“ fragte er weiter, „warum du es für nötig hältst, so einen Radau zu machen. Deine Tante Gerda hatte sich gerade hingelegt, um sich nach einem anstrengenden Arbeitstag auszuruhen. Nun ist sie aufgeschreckt. Das ist ein höchst rücksichtsloses Benehmen, junge Dame.“ Ich war betreten. Das hatte ich nicht gewollt. „Entschuldige bitte Onkel Albert.“ erwiderte ich. „Das habe ich nicht gewusst. Ich dachte…“ Ich stammelte herum. Onkel Alberts Blick ruhte streng auf mir. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das bei etwas Verbotenem ertappt worden war. Meine Güte! Ich hatte doch nur etwas länger geklingelt! Was stellte er sich so an?! Ich traute mich aber nicht, ihm dies zu entgegnen. Der Griff um meine Hand wurde noch fester. „Du wirst dich nachher bei Tante Gerda entschuldigen.“ befahl er. „Und ich setze voraus, dass das nie wieder passiert.“ Onkel Albert ließ nicht locker: „Ist das klar?“ Ich errötete und senkte den Blick. „Ja.“ flüsterte ich. Endlich löste er den Griff. „Dann ist es gut.“ meinte er, nahm meinen Koffer und ging ins Haus. Ich stand noch bedröppelt in der Eingangstür. „Komm herein Cora. Das ist dein neues Zuhause.“ forderte mich Onkel Albert auf. „Lena kann dir nachher alles zeigen. Sie ist noch bei einer Freundin. Jetzt mach dich erst einmal etwas frisch und dann unterhalten wir uns im Wohnzimmer. Du kennst dich hoffentlich noch etwas bei uns aus, oder?“ Ich nickte, trat in den Flur und schloss die Eingangstür. Onkel Albert stellte meinen Koffer im Treppenhaus ab und kam wieder auf mich zu. Er legte mir die Hände auf die Schultern und fixierte mich mit seinem Blick. „Cora, eine Sache müssen wir doch noch gleich klären.“ sagte er bestimmt. „Wenn ich eine Frage stelle, erwarte ich eine Antwort. Das ist eine Sache der Höflichkeit. Und ich hoffe,“ – er sah mich prüfend an – „meine Schwester hat dich zur Höflichkeit erzogen. Wenn sie auch einiges in deiner Erziehung versäumt zu haben scheint, weiß ich, dass für sie Höflichkeit eine wichtige Tugend ist.“ Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit sah ich mich in die Lage eines kleinen Kindes versetzt. Musste ich mich zur Höflichkeit ermahnen lassen? Ich war ein Jahr kreuz und quer durch Australien gereist! Ich hatte ein Jahr in einer WG gewohnt und meinen Lebensunterhalt alleine bestritten. Ich war kein kleines Kind mehr! Trotzig antwortete ich: „Ich hab doch geantwortet! Ich hab genickt. Das hast du doch gesehen, oder?“ Onkel Alberts Miene verfinsterte sich. „Ich werde mit dir nicht diskutieren, was eine angemessene Antwort ist und was nicht. Wasch dir die Hände und dann kommst du mit deinen Studienunterlagen ins Wohnzimmer. Dort besprechen wir alles Weitere.“ Er drehte sich um und ging Richtung Wohnzimmer. Ich rollte mit den Augen. Das konnte ja heiter werden!
Wie angeordnet, hatte ich mich wenig später im Wohnzimmer bei Onkel Albert eingefunden. Gerade blätterte er meine Studienunterlagen durch. Die zornige Falte auf seiner Stirn wurde immer tiefer. Mir war mulmig zumute. Ich wusste, dass ich im letzten Jahr fast nichts geschafft hatte. Onkel Albert blickte auf. „Du hast dein Studium ziemlich schleifen lassen junge Dame.“ sagte er streng. „Das wird in diesem Hause nicht passieren.“ Ich schluckte. „Ich musste ja nebenbei noch Geld verdienen…“ versuchte ich mich zu verteidigen. „Auch wenn man arbeitet, kann man mehr Leistung im Studium zeigen, als ich hier herauslesen kann!“ Drohend wedelte er mit meinem Studienbuch in der Luft. Ich verstummte. Mir war gerade nicht nach Widerworten. Ich war es nicht gewohnt, so abgekanzelt zu werden. „Aber wenn es an der Arbeit lag, dann kann ich dich beruhigen.“ fuhr Onkel Albert fort. „Hier bekommst du alles, was du brauchst. Du kannst hier wohnen und essen. Wir geben dir sogar ein kleines Taschengeld, wenn du dich im Haushalt einbringst. Du bist also nicht mehr darauf angewiesen, nebenbei Geld zu verdienen und kannst dich ganz auf
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