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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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ihm nicht mehr begegnet, denn bei dem kalten Wetter begnügte sich Sulo damit, nur kurz an der Tür zu schnuppern und sich so schnell wie möglich ins warme Zimmer zurückzuziehen. Ein paar Mal hatte ich Licht in seiner Wohnung gesehen, als ich den Abfall wegbrachte, aber den zweiten Schatten hatte ich nicht mehr zu Gesicht bekommen.
    Elstern keiften auf dem Feld, auf dem im August Sonnenblu-men gewogt hatten. Jetzt ragten die Stängel braun und leblos in die Luft. Ich marschierte so zügig gegen den Wind an, dass ich atemlos und verschwitzt war, als ich den Zufahrtsweg zu unserer Siedlung erreichte. Die kleinen Jungen aus dem Haus spielten auf dem vereisten Bolzplatz Fußball, aber sie waren nicht allein: Ein großer, dunkelhaariger Mann kickte mit ihnen. Ob die Eltern ihre Kinder mit Kalle spielen ließen, wenn sie wüssten, dass er ein Killer war?
    «Tag, Säde!», rief Kalle und rannte mir entgegen. «Sind Sie weit gelaufen? Ihre Wangen leuchten wie rote Äpfel!»
    «Ein paar Kilometer», antwortete ich leise. Warum hatte er nicht auf dem Spielfeld bleiben können?
    «Obwohl der Wind so kalt ist, kommt man ins Schwitzen, wenn man mit den Knirpsen rumtobt. Im Gefängnis habe ich zwar Gewichtheben gemacht, aber ein Ausdauertraining war das nicht. Was machen Sie heute Abend?»
    «Ich weiß es noch nicht.» Ich versuchte verzweifelt, mir irgendetwas auszudenken, eine Einladung oder dergleichen, aber diesmal ließ mich meine hoch entwickelte Kunst des Lügens im Stich.
    «Kommen Sie doch mit ins Kino. Ich lade Sie ein. Es gibt nämlich etwas zu feiern, ich habe Arbeit gefunden.»
    Kalles braune Augen strahlten, der ganze Mann verströmte eine so intensive Wärme, dass ich zurückwich.
    «Herzlichen Glückwunsch.» Ich versuchte zu lächeln. «Darf man fragen, wo?»
    «Das verrate ich Ihnen heute Abend.» Bei Kalles schalkhaf-tem Blick musste ich nun tatsächlich lächeln. «Wie wäre es mit
    ‹Eine anständige Tragödie› um sieben im Kino Tuomarila? Wir können mit meinem Wagen hinfahren. Um halb sieben auf dem Parkplatz?»
    «Na ja … okay. Jetzt muss ich gehen, ich friere. Bis heute Abend!»
    Ich steckte die Hände tief in die Taschen und lief mit großen Schritten nach Hause. Als ich bei den Mülleimern angekommen war, hörte ich hinter mir lautes Gebrüll. Ich sah mich um, Kalle sprang mit hochgerissenen Armen auf dem Bolzplatz herum, als hätte er gerade das entscheidende Tor bei der Weltmeisterschaft geschossen. Ich musste laut lachen.
    Ich hätte auf jeden Fall am Nachmittag einkaufen müssen, weil Sulos Katzenstreu fast aufgebraucht war. Doch ging ich nicht einfach rasch in den kleinen Eckladen, sondern bis zum Citymarket, um mir endlich den himbeerroten Lippenstift zu kaufen und dazu irgendetwas, was mir auch ohne Waldspazier-gang Apfelbäckchen verschaffte.
    In der Kosmetikabteilung geriet ich in einen Rausch: Ich kaufte Lippenstift, Konturenstift, Rouge, neue Pudercreme und einen Augenbrauenstift. Eine geduldige Verkäuferin beriet mich bei der Wahl der Schattierungen, ohne sie hätte ich viel zu unauffällige Farbtöne genommen. Im Vorbeigehen entdeckte ich an einem Schmuckständer himbeerförmige Ohrclips, die ich auch noch mitnahm. In der Wäscheabteilung erstand ich den ersten Spitzenslip meines Lebens, er war rauchgrau und glänzte seidig.
    Zu Hause kam ich mir plötzlich idiotisch vor. Was spielte es denn für eine Rolle, welchen Slip ich trug? Ich wollte doch bloß ins Kino.
    Sulo bekam geschnetzelte Nieren, eins seiner Lieblingsge-richte, dann duschte ich und wusch mir die Haare. Das Wasser spülte wieder ein dickes Büschel auf den Boden der Duschkabi-ne, meine gute Laune bekam einen Dämpfer. Ich trocknete mich ab, föhnte die verbliebenen dünnen Strähnen und versuchte ungeschickt, ein wenig Fülle hineinzutoupieren. Ich zog meinen besten BH und den neuen Slip an, stapfte im Bademantel zum Wohnzimmerregal und holte das Buch mit den Schminktipps hervor, das mir Aimos zweite Frau vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Nachdem ich die An-leitungen sorgfältig durchgelesen hatte, zog ich die himbeerrote Bluse und den dazu passenden Rock an und schminkte mich so, wie es im Ratgeber beschrieben wurde. Als ich fertig war, schaute mir ein ganz neues Gesicht aus dem Spiegel entgegen. Es hatte einen ausdrucksvollen Mund und strahlende Augen hinter den Brillengläsern. Der neue Puder verdeckte die schuppige Röte der Wangen, die dafür in zartem Apfelrot leuchteten. Ich steckte die

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