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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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Irja Ahola, dann dieser Väätäinen und jetzt Pasi Leiwo.»
    «Ja, schrecklich», nickte ich und verzog mich auf die Toilette, um die Trainingshose auszuziehen. Ich würde Tiina mein Beileid aussprechen und gleichzeitig herauszufinden versuchen, welche Ermittlungen die Polizei anstellte. Sollte ich mein Handy als ge-stohlen melden? Ich könnte behaupten, ich hätte es schon seit ein paar Tagen gesucht. Aber lenkte ich damit nicht erst recht die Aufmerksamkeit auf mich? Vielleicht war es besser, ganz still zu sein und erst dann Lügen zu erfinden, wenn es nötig wurde.
    Tiina wollte zur Arbeit, sie hatte schon ein Taxi bestellt. Sie war perfekt geschminkt, das schwarze Kostüm und die weiße Bluse sahen frisch gebügelt aus.
    «Mein Beileid», sagte ich mit sanfter Stimme. Zu meinem Er-staunen lächelte sie.
    «Gib dir keine Mühe. Pasi, der Mistkerl, hat bei der Firmen-präsentation getrunken und damit geprahlt, wie viel er verträgt.
    Als er dann gemerkt hat, dass die Polizei hinter ihm her ist, ist er wie ein Verrückter losgerast. Zum Glück hat er dabei bloß sich selbst umgebracht!»
    Tiina blieb stehen, zog eine Haarsträhne unter dem Riemen ihrer Schultertasche heraus und spitzte die Lippen.
    «Es gibt offenbar doch Gerechtigkeit auf der Welt. Ich hatte beschlossen, Pasi noch eine Chance zu geben, weil ich das Haus nicht verlieren wollte. Nur um das Auto tut es mir Leid, bei Alkohol am Steuer zahlt die Versicherung garantiert nicht. Zum Glück war es wenigstens abbezahlt. Ich fahre jetzt zur Arbeit, und ich glaube nicht, dass ich den Schutzhafen jemals wieder brauche. Alles Gute, Säde, und danke für alles!»
    Wenn du wüsstest, für was alles, dachte ich und sah ihr nach, wie sie hoch aufgerichtet durch den Schneematsch zum Taxi stiefelte. Wahrscheinlich würde sie mich nicht mehr wieder-erkennen, wenn wir uns zufällig auf der Straße oder in der Schlange an der Supermarktkasse begegneten, und sie würde nie erfahren, dass ich der wichtigste Mensch in ihrem Leben war. Die Spuren, die ich hinterließ, blieben anonym. Damit musste ich mich begnügen.
    «Glaubst du, Tiina Leiwo wird damit fertig?», fragte ich Maisa am nächsten Tag, als wir beide Spätdienst hatten.
    «Gestern wirkte sie sehr stark, aber sie hatte wohl noch nicht begriffen, dass Pasi wirklich tot ist. Der Schmerz kommt sicher erst später, vielleicht an Heiligabend. Aber Tiina wird es schon schaffen, trotz der schlimmen Schuldgefühle, die ganz sicher noch auf sie zukommen.» Maisa zog die Vorhänge zu. Der Schnee war geschmolzen, die Erde braun und nackt. «Eine ganz andere Frage: Kommst du nächste Woche Freitag mit ins Theater? Ich hab eine Karte übrig für ‹Kunst› im Nationaltheater.
    Pekka muss überraschend nach Brüssel.»
    Das Stück hätte mich interessiert, es war sehr schwierig, Karten zu bekommen. Aber ich musste ablehnen, am nächsten Freitag würde ich nicht in Form sein.
    Am Samstag schien zum ersten Mal seit Wochen die Sonne, und so brach ich am Morgen zu einem langen Spaziergang durch den Zentralpark auf. Es war stürmisch, der Wind peitschte die Birken und Weiden und wirbelte das trockene Laub am Wegrand auf. Im Frühsommer war mir an einer Wegbiegung eine Joggerin entgegengekommen, es war Hauptkommissarin Kallio. Ich hatte sie nicht gleich erkannt, ihre Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sie trug eine Jogginghose und ein graues T-Shirt, auf dem in großen schwarzen Buchstaben stand «Die Polizei knüppelt». Zunächst glaubte ich, dies sei eine Form von Polizistenhumor. Allerdings erschien mir der Slogan ziemlich heftig für jemanden, der von Berufs wegen Gewaltverbrechen aufklärt. Erst später war mir eingefallen, dass es der Plattentitel irgendeiner Rockband war.
    Bei der Erinnerung an Kallio musste ich an den Prozess im Mordfall Irja Ahola denken, der in zwei Wochen beginnen sollte und zu dem ich als Zeugin vorgeladen war. Nur sehr selten wurde ein Angeklagter zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Der Prozess würde wahrscheinlich einiges Aufsehen erregen, und ich war eine der wichtigsten Zeuginnen der Anklage, ein be-
    ängstigender Gedanke.
    Der Wind wehte immer heftiger, mein Mantel war eine oder zwei Nummern zu groß und flatterte um meinen Körper. Ich ertappte mich bei der Überlegung, wen Kalle wohl umgebracht hatte. Bisher hatte ich mir verboten, an ihn zu denken, sein Gesang und die verschlungenen Schatten am Fenster hatten einen seltsamen Schmerz ausgelöst. In letzter Zeit war ich

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