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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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sich goldglänzend vom schwarzen Teller ab. Ich war erleichtert und verwirrt zugleich. Seine Freundin hatte er also wenigstens nicht umgebracht. Er hatte einmal erzählt, er wäre bei einem Streit dazwischengegangen. Wahrscheinlich eine der üblichen Auseinandersetzungen zwischen Zechbrüdern. Einerseits war ich neugierig, andererseits hätte ich Kalles Vergangenheit am liebsten vergessen. Jedenfalls wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Offenbar bemerkte er meine Verwirrung und wechselte das Thema. Wir tranken noch ein Glas Sekt. Zusammen mit dem Essen und den Kerzen wirkte der Sekt entspannend und lockernd, ich hatte Lust, mich aufs Sofa fallen zu lassen, die Augen zu schließen, mich an Kalles Schulter zu schmiegen und zu probieren, ob sein Mund auch nach Käse und Zwiebeln schmeckte …
    Ich errötete über meine eigenen Gedanken und verscheuchte sie hastig. Ich dachte an die wenigen erotischen Situationen, die ich erlebt hatte, das Gefummel mit einem Fremden, die Mi-schung aus Furcht und Freude, wenn wir miteinander schliefen, die Scham hinterher, wenn er nicht mehr anrief. Wieder fiel mir die Eintagsfliege ein. Ich wollte Kalle berühren, wollte mehr als das. Aber das war unmöglich.
    Kalle bot mir noch einmal von der Quiche an, aber eine dritte Portion schaffte ich nicht.
    «Machen wir es uns bequem, setz dich doch aufs Sofa.» Er holte sich einen Stuhl vom Esstisch, und ich war enttäuscht, dass er sich nicht neben mich setzte.
    «Jetzt, wo ich wieder Geld verdiene, muss ich mir neue Möbel kaufen. Der Platz reicht wohl für einen Couchtisch und ein paar Sessel. Meine Sachen hat größtenteils Mirja bekommen. Als ich ins Gefängnis musste, konnte ich mir nämlich nicht vorstellen, eines Tages wieder entlassen zu werden.» Er lächelte und trank sein Glas leer. Dann teilte er den Rest aus der Flasche unter uns auf.
    «Du hast mir noch gar nicht erzählt, wo du arbeitest», sagte er.
    «Wirklich nicht? Im Frauenhaus Schutzhafen.»
    «In einem Frauenhaus? Das ist bestimmt hart.»
    «Ja. Ich mag nicht darüber reden.»
    Wir unterhielten uns wieder über Tauno Palo. In Wahrheit la-vierten wir vorsichtig an den Tabuthemen vorbei: das Gefängnis, der Mensch, den Kalle getötet hatte, meine Taten und mein ungelebtes Leben. Als zögen wir, indem wir nicht darüber sprachen, einen Feuerkreis um uns: Diese Grenze darfst du nicht überschreiten, sonst verbrennst du dich und den anderen.
    Kalle machte keine Einwände, als ich mein Glas austrank, aufstand und sagte, ich wolle jetzt nach Hause. Ich war ein bisschen wacklig auf den Beinen, meine Nase juckte. Ich ging zur Garderobe, Kalle folgte mir und half mir in den Mantel.
    «Danke für den schönen Abend», sagte ich und kämpfte gegen den Wunsch an, ihn zu berühren.
    «Ich habe zu danken. Wir sollten ihn bald einmal wiederho-len.» Plötzlich zog er mich an sich und küsste mich auf die Wange, ich war zu verblüfft, um zu reagieren. Erst draußen begriff ich, was geschehen war.
    Ich lag die ganze Nacht wach, nicht nur, weil der Schneeregen auf das Dachblech trommelte. Es durfte keine Wiederholung geben, denn Kalle begann mir gefährlich zu werden.
    Die nächste Woche war noch schrecklicher, als ich erwartet hatte, bei der Arbeit lief ich wie ein lebender Leichnam herum, zu Hause war ich so gut wie tot. Ich ging nicht ans Telefon, und als Kalle ein paar Mal an der Tür klingelte, machte ich nicht auf.

    Ich hatte keine Kraft für Erklärungen, und die Fähigkeit zu lügen war mir anscheinend abhanden gekommen. Am Wochenende war ich so matt, dass ich es kaum schaffte, Sulos Katzenklo zu säubern. Am Sonntag stellte ich dummerweise das Radio an, als ein fanatischer Pfarrer gerade die Epistel zum Totensonn-tag verkündete: Denn der Sünde Sold ist Tod. Ich schaltete schleunigst aus.
    Am Dienstag begann der Prozess im Mordfall Irja Ahola. Ich war für neun Uhr vorgeladen, wahrscheinlich würde es den ganzen Tag dauern. Pauli ärgerte sich, aber er konnte mir nicht verbieten, meiner Zeugnispflicht nachzukommen. Ich hatte mir eine Handarbeit mitgenommen: Ich strickte mir einen orangefarbenen Baumwollpullover. Im düsteren Gerichtsflur wirkte die Farbe grell und irreal, sie gehörte einer anderen Welt an, einer Welt, in der es keinen Schneeregen gab, sondern nur Sonnenschein.
    Ich musste fast drei Stunden warten, bevor ich aufgerufen wurde. Ein paar Mal wechselte ich den Sitzplatz, weil ich mich vor der Bande kahl geschorener Burschen fürchtete, die auf dem Flur lärmten

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