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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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hatte. Eine Weile konnte ich mich nicht auf den Film konzentrieren. Ich war erleichtert, dass mich der Ausgang der Handlung nicht zum Weinen brachte, sondern dass ich ihn mit kühlem Interesse betrachten konnte
    – genauso wollte ich mich Kalle gegenüber verhalten.
    Als wir das Kino verließen, hatte der Wind dicke Wolken über Tuomarila geschoben. Schneeschauer trieben über die Stadt. Wir hatten beide keinen Schirm und liefen mit hochgestelltem Kragen zum Auto. Kalle hielt schützend seinen Arm über mich, während er aufschloss. Solche Aufmerksamkeiten war ich nicht gewöhnt. Im Allgemeinen war ich diejenige, die anderen den Schirm hielt, und da ich körperliche Berührungen scheute, be-eilte ich mich meistens, meinen Mantel anzuziehen, bevor irgendein Mann auf die Idee kam, den Höflichen zu mimen.
    «Möchten Sie noch auf einen Drink irgendwohin?»
    «Ich glaube, lieber nicht», sagte ich. Ich wusste nicht recht, was ich eigentlich wollte.
    «Dann gehen wir doch zu mir, ich habe Sekt und Quiche. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir dabei Gesellschaft leisten.»
    Seine Bitte klang so flehentlich, dass ich einfach zusagen musste. Zum Glück konnten wir uns über die «Anständige Tragödie» und andere Filme unterhalten. Kalle mochte auch die alten finnischen Filme mit Tauno Palo, doch aus anderen Gründen als ich. Es war seltsam, vor dem Haus zu stehen und in seine Wohnung zu gehen statt in die eigene. Einerseits hatte ich Angst, die Nachbarn könnten mich sehen, andererseits dachte ich, na wennschon. Ich spürte wieder die Heiterkeit, die mich gepackt hatte, als Kalle über sein Tor jubelte, und wich nicht zu-rück, als er mir aus dem Mantel half.
    «Die Quiche ist fertig, ich wärme sie nur kurz im Ofen auf.
    Aber zuerst köpfen wir den Sekt. Hoffentlich mögen Sie trockenen. Übrigens, wollen wir nicht du sagen?»
    Ich verstand nichts von Sekt, ich wusste nur, dass mir die Bläschen immer in die Nase stiegen. Wir stießen auf Kalles neuen Job an. Er erkundigte sich nach Sulo und wollte wissen, warum er nur ein Auge hatte. Ich erzählte ihm die Lebensgeschich-te meiner Katze und merkte plötzlich, dass ich minutenlang über meine Brüder, über Kühe und über das uralte Pferd meines Vaters geschwatzt hatte, das eingeschläfert werden musste, als ich zehn war. Der Duft der Quiche durchzog die Wohnung, und zum ersten Mal seit vielen Wochen hatte ich Hunger.
    Kalle summte vor sich hin, während er Teller und eine Schüssel Salat auf den Tisch stellte. Auf einmal dachte ich unvermit-telt an die vertraute Verszeile: Gevatter Tod, den fürcht ich nicht.
    Das Zittern und die Atemnot überfielen mich gleichzeitig, mein erster Impuls war, davonzulaufen. Ich stand auf, zwang mich aber, zur Toilette zu gehen, anstatt wegzurennen. Ich setzte mich und legte den Kopf auf die Knie. Es ging doch nicht an, dass ich mich vor einem Lied fürchtete.
    «Darf ich zu Tisch bitten?», sagte Kalle, als ich zurückkam. Er hatte zwei Kerzen angezündet, die ganze Situation wirkte irgendwie arrangiert. Kerzen und Sekt, so ein Abendessen konnte doch für mich nicht vorgesehen sein.
    «Die Quiche schmeckt phantastisch», rief ich ehrlich begeistert. Das Zittern hatte aufgehört, wahrscheinlich war nur mein Blutzucker zu niedrig gewesen.
    «Freut mich, dass sie dir schmeckt. In den letzten Jahren hatte ich ja keine Gelegenheit zu kochen, aber früher konnte ich es ganz gut.» Er schob einen großen Bissen in den Mund, in seinem schwarzen Bart blitzten die Zähne auf.
    «Hast du oft gekocht, bevor …»
    «Ich war bei uns für die Küche zuständig. Ich habe damals ein paar Jahre mit einer Frau zusammengelebt, mit Mirja. Nimm doch noch ein Stück.» Er schob mir die Platte hin. «Ich koche gern, da sieht man, was man getan hat, genauer gesagt, man schmeckt es. Und essen tu ich auch gern. Es ist toll, endlich wieder selbst entscheiden zu dürfen, was und wann man isst.»
    War Mirja die Frau, deren Schatten ich an Kalles Fenster gesehen hatte? War er immer noch mit ihr liiert? Oder war es etwa Mirja, die er umgebracht hatte?

    «Ich konnte ja nicht verlangen, dass Mirja sieben Jahre auf mich wartet, natürlich hat sie bald einen anderen gefunden. Sie hat mich seit einer Ewigkeit nicht mehr im Gefängnis besucht, aber immerhin hat sie sich um mein Auto gekümmert. Als sie es zurückbrachte, haben wir uns wieder gesehen. Ich kann nicht abstreiten, dass es immer noch wehtut.»
    Ich sah nicht Kalle an, sondern meine Quiche. Der Käse hob

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