Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
Vom Netzwerk:
glucksende kleine Wesen mit zerdrückten Kartoffeln und Pfirsichpüree. Als es Zeit für das Fläschchen und den Mittagsschlaf wurde, nahm ich das Baby auf den Arm und gab ihm seine Milch. Der kleine Kopf mit den weichen Locken ruhte auf meiner rechten Brust, die Füßchen traten eifrig gegen meine linke Schulter. Es nuckelte eine Weile und schlief dann auf meinem Arm ein. Am liebsten wäre ich mit dem schlafen-den Kind im Arm in dem dämmrigen Zimmer sitzen geblieben, hätte das rötliche und dunkelviolette Farbenspiel der unterge-henden Sonne betrachtet und den Duft des auf meinem Schoß schnaufenden Wesens eingesogen, aber die anderen Klientinnen warteten. Ich legte das Baby ins Bettchen und fror, als der kleine Kopf meine Brust nicht mehr wärmte.
    Anneli sah sich mit ein paar Klientinnen die Übertragung vom Skispringen an. In meiner Kindheit waren Kekkonens Neujahrsansprache und das Skispringen in Garmisch-Parten-kirchen heilige Rituale, die niemand stören durfte. Das Mittagessen kam immer auf den Tisch, wenn das Konzert der Wiener Philharmoniker begann, worüber ich mich maßlos ärgerte. Ich hätte so gern das festlich geschmückte Opernhaus und die wunderschön angezogenen Ballerinen bewundert, aber meine Mutter meinte, die Tänzer in ihren Trikots sähen schamlos aus und ich hätte nichts vor dem Fernseher verloren.

    Anstatt mir das Skispringen anzusehen, füllte ich ein paar Anträge aus, obwohl sie erst nächste Woche eingereicht werden mussten. An den nächsten beiden Tagen hatte ich Nachtschicht, denn die Kolleginnen mit Familie arbeiteten am Wochenende nicht gern nachts. Sulo war es egal, ob ich nachts oder tagsüber zu Hause war, Hauptsache, ich war irgendwann da.
    Als ich nach Hause kam, guckte ich wieder in Kalles Briefkasten. Er war noch voller geworden. Seine Fenster waren dunkel. An der Treppe traf ich die Nachbarin aus der unteren Etage, die mir zuerst ein gutes neues Jahr wünschte und anschließend anfing zu tratschen. Das ganze Haus wusste, dass Kalle von der Polizei abgeholt worden war, aber niemand kannte den Grund.
    Vermutlich hatte sie mich mit Kalle gesehen und versuchte jetzt, mich nach den näheren Umständen seiner Verhaftung auszufra-gen, aber ich sagte, ich wisse nichts, und lehnte ihre Einladung zum Kaffee ab. Zum Glück war Sulo zu Hause, bei ihm konnte ich mich über die Schäbigkeit der Menschen beklagen. Bald würde jemand herausfinden, dass Kalle schon einmal wegen Totschlags im Gefängnis gesessen hatte, und dann ging das Gerede erst richtig los.
    Es fing wieder an zu schneien, ich fegte den Balkon, obwohl sie in einer Stunde wieder genauso weiß sein würde wie zuvor.
    Dann las ich in dem Buch weiter, das ich zu Weihnachten bekommen hatte, aber meine Gedanken kehrten immer wieder zu meiner eigenen verwickelten Geschichte zurück, aus der ich mich nicht mehr befreien konnte. Gegen sieben stand ich vom Sofa auf, um Tee zu kochen. Da klingelte es. Ich zupfte mir schnell die Haare zurecht und öffnete die Tür.
    Es war Kalle. Er klopfte sich den Schnee von den Schultern, als käme er von einem langen Spaziergang zurück. Auf seinen braunen Augen lag ein matter Schleier wie auf abgestandenem Tee. Er war den Tränen nah.
    «Darf ich reinkommen?», fragte er.
    «Natürlich. Warum hat man dich verhaftet?»

    «Das ist doch sonnenklar», schnaubte er, während er den Mantel auszog. «Heikki ist auf dubiose Weise ums Leben gekommen, und ich habe schon mal ein Familienmitglied getötet.
    Die Polizei war am Dienstag bei meiner Mutter, und sie hat wohl Verschiedenes gesagt, was für mich nicht so günstig war.» Kaum saß Kalle auf seinem Stammplatz auf dem Sofa, hüpfte ihm Sulo auch schon auf den Schoß.
    «Ich wollte gerade Tee kochen, magst du auch welchen?»
    «Danke, gern. Säde, ich habe den Polizisten erzählt, dass wir in Heikkis Wohnung waren. Du wirst sicher auch noch vernommen.»
    «Ich bin für Montag um zwei Uhr hinbestellt.»
    Ich stellte Teetassen und die Keksdose auf den Tisch und wich Kalles Blick aus.
    «Wie lange haben sie dich dabehalten?»
    «Nur die gesetzlich erlaubten achtundvierzig Stunden. Das war schlimm genug. Ich erinnerte mich sofort daran, wie es vor fünf Jahren war, als ich die erste Nacht in der Arrestzelle wach lag und wusste, jetzt ist mein ganzes Leben verpfuscht. Sie haben mich vorläufig freigelassen und wollen sich nächste Woche wieder melden. Letzte Nacht war ich bei meiner Mutter, ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, dass ich Heikki

Weitere Kostenlose Bücher