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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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Klientinnen neuerdings mit ziemlich drastischen Mitteln.»
    Ich bemühte mich, keine Miene zu verziehen, und sagte, ich hätte am Morgen mit Anja telefoniert.
    «Komm doch nach Dreikönig zu uns zum Abendessen, dann können wir uns mal richtig unterhalten und ein paar Intrigen gegen Pauli spinnen», lächelte Maisa. Ich lächelte zurück, ich mochte ihr nicht sagen, dass ich nicht mehr lange im Schutzhafen arbeiten würde. Außerdem hoffte ich, die Polizei käme nicht auf die Idee, Maisa zu vernehmen, denn am Ende plapperte sie dann auch davon, wie viele prügelnde Männer in letzter Zeit zu Tode gekommen waren. Jeder schien jetzt eine Bedrohung dar-zustellen, entweder für Kalle oder für mich. Wie konnte ich es nur hinkriegen, dass Heikkis Tod keinem von uns beiden zur Last gelegt wurde?
    Würde Kalle wegen Mordes verurteilt werden, müsste er den Rest seiner vorigen und die neue Strafe absitzen. Sollte es so weit kommen, musste ich ein Geständnis ablegen. Ich würde ohnehin nicht lange im Gefängnis bleiben.
    Paulis Ankunft unterbrach meine Grübelei.
    «Na, bist du jetzt zufrieden?», fauchte er. Sein Gesicht leuchtete im gleichen Rot wie mein Pullover.
    «Weswegen?» Einen Augenblick glaubte ich, er meinte Heikki Jokinens Tod.
    «Pastorin Voutilainen hat den Vorstand der Stiftung wegen Tiina Leiwos Brief zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen.»
    «Aha.» Ich hatte die ganze Sache vergessen und eigentlich auch keine Lust, mich mit Pauli darüber zu streiten.
    «Begreifst du, dass das unsere Tätigkeit gefährden kann?» Er trat so dicht an mich heran, dass mir der sirupartige Geruch seines Rasierwassers in die Nase stieg.
    «Das glaube ich nicht. Im Moment läuft doch das Projekt zur Prävention familiärer Gewalt, es wird immer mehr über das Thema gesprochen. Wenn wir Ergebnisse vorweisen können, bekommen wir mehr Geld», sagte ich kühl und ging. Vielleicht konnte ich meine Laufbahn im Schutzhafen damit beschließen, dass ich einen Wechsel in der Leitung herbeiführte. Pauli war nur noch einige Jahre vom Rentenalter entfernt, vielleicht könn-te er in Vorruhestand gehen? Maisa würde eine gute Leiterin abgeben. Oder wenn Pauli plötzlich krank würde …
    Hör auf!, sagte ich mir. Pauli war ein Hornochse, aber er war nicht gefährlich. Ihn brauchte ich nicht zu erledigen. Trotzdem fielen mir auf Anhieb drei Varianten ein, ihn um die Ecke zu bringen.
    Zum Glück gab es den ganzen Tag viel zu tun. Ich machte Überstunden, damit wir mit dem Andrang fertig wurden, und als ich endlich vor meiner Wohnungstür stand, war es fast Mit-ternacht. Aus dem Innenhof kam Musik, die Hausgemeinschaft feierte Silvester. Ich hatte nicht vorgehabt, daran teilzunehmen, unter all den fröhlich betrunkenen Paaren hätte ich mich doch nur als Außenseiterin gefühlt. Außerdem musste ich am nächsten Morgen wieder arbeiten.
    Ich fütterte Sulo und spähte nach draußen, um zu sehen, ob Kalle mitfeierte. Dunkle Gestalten tanzten auf dem von gelben Laternen und dem fast vollen Mond erleuchteten Hof, aber sie schienen mir alle zu klein für Kalle. Ich rief bei ihm an, aber er meldete sich nicht. Kurz vor zwölf drehte jemand die Musik auf dem Hof noch lauter, «It’s a final Countdown» war bis in meine Wohnung zu hören. Ich stand hinter der Gardine und schaute zu, als Punkt zwölf die Sektkorken knallten. Sollte ich eine der Weinflaschen öffnen, die Kalle mir geschenkt hatte? Ich beschloss, lieber ins Bett zu gehen, und schaffte es tatsächlich einzuschlafen. Im Schlaf hörte ich von draußen das Lied vom Gevatter Tod.
    Die Laternen auf dem Hof leuchteten immer noch, als ich mich um Viertel vor sieben aus dem Bett quälte. Es war schwer zu glauben, dass die Tage schon wieder länger wurden. Beim Zeitungholen spähte ich in Kalles Briefkasten. Die Zeitung von gestern und heute und ein paar Briefe lagen darin, er war also noch nicht freigelassen worden. Noch auf dem Weg zur Arbeit sah ich eine Zelle mit gelblichen Wänden vor mir, in der Kalle brüllend an die Tür hämmerte.
    Es tat mir gut, mich im Dienst in die Probleme anderer Menschen verbeißen und meine eigenen beiseite schieben zu können. Eine Klientin hatte ihr sechs Monate altes Baby dabei, das gerade sitzen gelernt hatte und das zahnlose Mündchen zu einem breiten Lächeln verzog, sooft es ihm gelang, sich aufzuset-zen. Die Mutter war vom ersten schlimmen Streit in der Familie so geschockt, dass sie die Kinderpflege ganz und gar mir überließ. Ich fütterte das

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