Lehtolainen, Leena
vorbei waren. Minna fuhr gleichmäßig neunzig und sprach über ihr Leben als Polizistin und Mutter von drei Kindern. Sie hatte sich gerade zu einem Lehrgang für den mittleren Dienst angemeldet, denn mittlerweile ging auch das jüngste Kind zur Schule, und sie meinte, jetzt hätte sie Zeit für ihre Karriere. Auch ich berichtete kurz, wie es mir in den letzten Jahren ergangen war, und erklärte dann, weshalb ich mit Leevi Säntti sprechen wollte.
»Ach, in Nuuksio«, sagte Minna. »War da nicht letzte Woche auch dieses Geiseldrama? Der Polizist, der dabei umgekommen ist, hat doch bei euch gearbeitet, oder?«
»Ja, ein Kollege aus meiner Abteilung«, sagte ich kurz angebunden und kam dann wieder auf Elina Rosberg zurück. Minna warf mir einen kurzen Blick zu, war aber klug genug, nicht nachzuhaken.
»Wie alt ist diese Johanna Säntti eigentlich?«, fragte sie, als ich mit meinem Bericht fertig war.
»Jahrgang zweiundsechzig.«
»Dann muss das die Johanna Yli-Koivisto sein, die in der Oberstufe in meine Klasse ging. Sie wohnte in Karhumaa und hat später einen Prediger geheiratet. Ich hab nicht viel mit Religion am Hut, aber von Leevi Säntti habe ich schon gehört, wenn ich es mir genauer überlege. Er ist hier in der Gegend einer der führenden Altlaestadianer.«
»Dann hast du Johanna Säntti also als junges Mädchen gekannt? Erzähl mir von ihr!«
»Sie war eine von den Stillen, eine unglaublich gewissenhafte Schülerin, hat immer die besten Noten gekriegt und ein Super-abitur gemacht. Wir hatten allerdings kaum Kontakt miteinander. Die Laestadianer haben sich ziemlich abseits gehalten, sie durften sich mit uns anderen nicht abgeben, glaube ich. Aber an eine Geschichte erinnere ich mich noch gut, das muss gleich in der ersten Klasse der Oberstufe gewesen sein.
Johanna war ziemlich hübsch, auch wenn sie alles tat, um das zu verbergen. Sie trug merkwürdige Klamotten und steckte ihre blonden Locken immer in einem straffen Knoten auf.«
In einer engen, schneeverwehten Kurve kam uns ein mit Baumstämmen beladener Lastzug entgegen. Minna wich ihm aus, kam ins Rutschen, brachte den Wagen aber nach einigen Sekunden wieder unter Kontrolle.
»Donnerwetter nochmal, der hatte mindestens zwanzig Kilometer zu viel drauf!«, schimpfte sie. »Eigentlich müsste ich dem jetzt hinterher, aber ich hab keine Lust auf eine Schneerallye.«
»Ich hab inzwischen auch nicht mehr die Energie, mich in alles einzumischen. Man wird eben älter. Aber was war das für eine Geschichte mit Johanna?«
Minna erzählte mir von Jari Kinnunen, dem wildesten Punker und Rüpel in ihrer Klasse, der bis über beide Ohren in die schöne, stille Johanna Yli-Koivisto verknallt war. In den Pausen hatte er versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen, in der Mensa neben ihr gesessen, er hatte ihr Schokolade gekauft und Liebes-lieder geschrieben.
»Hörst du manchmal moderne Rockmusik? Kennst du eine Band namens ›Levoton pää‹? Bei denen ist Jari Gitarrist.«
Natürlich kannte ich die Gruppe, sie spielte ganz guten Neo-punk. Allerdings hatte ich bisher geglaubt, die Musiker wären um die zwanzig.
Nach Minnas Worten war Jari ungefähr der Letzte gewesen, mit dem ein Mädchen wie Johanna gegangen wäre. Anfangs war ihr seine Aufmerksamkeit einfach nur peinlich gewesen. Doch im Herbst war sie langsam aufgetaut, und an einem Freitag in der Adventszeit war sie zur allgemeinen Überraschung zu einer Klassenparty gekommen, die Minna gegeben hatte. Dort sollte sie ihr Bruder allerdings schon um zehn Uhr abholen.
Jari Kinnunen hatte schon tagsüber in der Klasse verkündet, an diesem Abend würde er das Dornröschen wachküssen. Und das tat er auch. Als Johannas Bruder sie abholen wollte, war sie nicht im Wohnzimmer, wo fast alle anderen saßen, quasselten und tranken.
»Schließlich haben wir die beiden im Zimmer meiner kleinen Brüder gefunden, wo sie zwischen Autorennbahn und Eisho-ckeyschlägern standen und sich küssten. Wohlgemerkt, sie haben sich nur geküsst, es war ganz harmlos. Aber Johannas Bruder ist total ausgeflippt. Erst hat er Jari geschlagen, dann Johanna, und was er gesagt hat … Ich hätte nie gedacht, dass fromme Leute derartig fluchen können. Er hat Johanna angebrüllt, sie sei eine Hure, dann hat er sie ins Auto gezerrt. Jari wollte sich natürlich auf ihn stürzen, aber wir konnten ihn zum Glück davon überzeugen, dass er Johannas Situation dadurch nur verschlimmern würde.«
Am nächsten Montag war Johanna still wie
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