Lehtolainen, Leena
Tarja Kivimäki ruhig ein paar Sekunden lang triumphierend glauben, ihr Abschreckungsmanöver wäre erfolgreich gewesen.
»Ich muss nach Rosberga, weil auf Aira Rosberg ein Mordan-schlag verübt wurde. Wir verschieben unser Treffen auf Freitag, zehn Uhr.«
Im Abteil versuchte ich ein Nickerchen zu machen. Tatsächlich verbrachte ich den Rest der Fahrt in einer Art Halbschlaf, während die Ereignisse an mir vorbeiflimmerten wie ein wirrer Film. Wie Taskinen war auch ich kurz davor gewesen, den Fall Rosberga zu den Akten zu legen, mir einzugestehen, dass nur eine fixe Idee mich getrieben hatte, einen nicht existierenden Mörder zu jagen. Was hatte Aira gewusst? Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl gehabt, sie wäre sich uneins, ob sie der Polizei sagen sollte, was sie wusste. Als ob sie Elinas Mörder schützen wollte. Vielleicht hatte sie mir deshalb den vorgeblichen Selbstmordbrief gezeigt. Wen hatte Aira schützen wollen? Mir fiel nur eine Person ein: Johanna Säntti.
Es war schon fast Mitternacht, trotzdem wartete Antti am Bahnhof auf mich. »Anstrengende Reise?«
»Ach, die Fahrt war nicht so schlimm, aber unterwegs hab ich eine schlechte Nachricht bekommen.« Ich erzählte ihm nicht viel, sagte nur, dass es im Nuuksio-Fall ein zweites Gewaltverbrechen, zumindest einen Mordversuch gegeben hatte.
»Dann kannst du wieder mal an nichts anderes denken als an deine Arbeit«, seufzte Antti. »Morgen um fünf treffen sich die Gegner der Umgehungsstraße, ich hatte gehofft, du würdest auch kommen.«
»Das schaff ich wahrscheinlich nicht. Aber wenn Unterschrif-ten gesammelt werden, darfst du meine ruhig fälschen.«
Am Busbahnhof wehte ein eiskalter Wind, der uns beinahe zu Eissäulen erstarren ließ. Antti beschwerte sich wieder einmal darüber, dass es keine Wartehäuschen gab, er hatte ganz offensichtlich seinen Meckertag. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, denn ich musste ständig an Aira denken. Lebte sie noch? Am liebsten hätte ich sofort im Krankenhaus angerufen, aber im Bus in mein Handy zu brüllen, war mir dann doch zu dumm.
»Ich weiß allerdings nicht, was das überhaupt noch soll, der Protest gegen die Umgehungsstraße, meine ich. Die Pläne sind längst fertig und das Geld ist bewilligt. Wie weit muss man eigentlich in die Wildnis ziehen, damit man sicher sein kann, dass die Umwelt nicht sofort platt gewalzt wird? Und man hat kein bisschen Einfluss darauf! Wenn irgendein Bürokrat oder Bauunternehmer beschließt, ein Stück Wald in eine Asphaltwüs-te zu verwandeln, kommt keiner mehr dagegen an.«
»Kämpfe wie ein Mann!« Ich grinste Antti mit gespielter Munterkeit an, sein Spiegelbild im Busfenster versuchte zurückzugrinsen.
»Das, was letzte Woche passiert ist, hat mich ganz schön mitgenommen. Wenn ich nur daran denke, dass ich dich hätte verlieren können … und das Baby noch dazu. Mich hat das viel mehr niedergeschmettert als dich.«
»Das liegt nur daran, dass ich nicht daran denke, wenn ich es vermeiden kann. Wollen wir hier schon aussteigen und den Rest zu Fuß gehen? Ich hab fast den ganzen Tag im Zug gesessen, ich brauch ein bisschen Bewegung.«
Der Schnee dämpfte alle Geräusche. Er strahlte ein seltsames Licht aus und knirschte unter den Füßen, als wäre er nur eine dünne Haut über dem hohlen Erdball. In einem Jahr würden wir ein fünf Monate altes Baby im Schlitten durch den Schnee ziehen. Die Vorstellung schien mir fast abwegig.
Was mir die Schwangerschaft suspekt machte, war vor allem der unbegreifliche Glorienschein, der die Mutterschaft um-schwebte, die unausgesprochene Erwartung, ich müsste mich verändern, weich, warm und verständnisvoll werden, voll fraulicher Fülle, in der Rolle der Lockenwickler tragenden Hausfrau. Sicher, aus Rollen konnte man ausbrechen, doch das Kind war nun mal ein Kind, ein schutzbedürftiges Wesen, das ohne Pflege sterben würde. Ich dachte an meinen Körper, der an Whisky und hartes Training gewöhnt war und pro Woche mindestens dreißig Kilometer laufen wollte. Ich dachte an mich, an eine Frau, die selbst über ihren Tagesablauf bestimmte und sich in ihren Ermittlungen vergrub. Ich dachte an Antti, der, wenn wir gerade nicht miteinander schliefen, mit seinen Gedanken meist bei mathematischen Theorien war. Er kam bei der ganzen Sache natürlich leichter davon. Als guter Vater galt man schon, wenn man bei der Geburt dabei war, dem Baby ab und zu die Windel wechselte und ihm später, wenn es etwas größer war, das Skilaufen beibrachte.
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