Lehtolainen, Leena
Aira immer noch in Gefahr schwebte. Wenn die Anschläge auf Elina und Aira von derselben Person verübt worden waren, was ich für wahrscheinlich hielt, bestand möglicherweise keine Gefahr, denn der Täter schien vorzugs-weise im Verborgenen zuzuschlagen, und auf der Intensivstation wimmelte es von Menschen. Oder handelte es sich doch um zwei Täter? Wer würde Aira beerben? Das Leben ist kein Kriminalroman, dennoch begann ich mir auszumalen, Joona Kirstilä wäre in Wahrheit Airas unehelicher Sohn und würde Anspruch auf das Erbe erheben. Über diese verdrehten Gedanken musste ich lachen, was mir einen verwunderten Blick von Dr. Wirtanen eintrug.
»Könnte ich Aira sehen? Wenigstens durch eine Glasscheibe?«
»Kennen Sie sie persönlich?«
»Ich ermittle auch im Todesfall Elina Rosberg, habe Aira Rosberg aber schon vorher kennen gelernt.« Mein Vortrag in Rosberga schien unendlich weit zurückzuliegen, er gehörte in eine andere Welt. Damals wusste ich noch nicht einmal, dass sich in meinem Bauch ein Baby versteckte.
»Es nützt Ihnen zwar nichts, sie zu sehen, aber meinetwegen.
Kommen Sie mit.«
Die Tür zu Airas Zimmer war zur Hälfte aus Glas. Ich spähte vorsichtig durch die Scheibe, als hätte ich Angst, Aira würde mich sehen. Aber sie sah gar nichts. Die geschlossenen Augen lagen tief in den Augenhöhlen, die hohen Wangenknochen stachen hervor wie Baumstümpfe im Moos. Der offene Mund unter der Hakennase wirkte tot und Furcht erregend wie ein Sumpfteich. Was hatte dieser Mund verschwiegen? Zwischen den blinkenden Armaturen sah Aira leblos und verloren aus. Das Beatmungsgerät brauchte sie offenbar nicht mehr, es war an die Wand gerückt worden.
»Es kann sein, dass sie schon bald für längere Zeit bei Bewusstsein ist oder auch nicht«, flüsterte Wirtanen.
»Aber sie wird überleben?«
»Sicher. Ob sie wieder ganz gesund wird, lässt sich im Moment noch nicht sagen.«
Ich erklärte Wirtanen, dass Aira möglicherweise weiterhin in Gefahr schwebte und dass ich versuchen würde, einen Wachpos-ten zu schicken. Der Arzt versprach, mich sofort zu informieren, wenn sich Airas Zustand veränderte.
Eine Frau mit dickem Bauch zwängte sich mit mir in den Aufzug. Wieso war sie schon vor der Entbindung in der Klinik, stimmte etwas nicht? Ich erinnerte mich an Geschichten von Bekannten, die monatelang liegen mussten, weil das Kind zu früh zur Welt kommen wollte. Wenn es mir auch so erging, würde ich durchdrehen. Draußen atmete ich ein paar Mal tief durch, bevor ich in meinen Fiat stieg und losfuhr. Ich drehte das Radio an, in der Hoffnung auf Musik, die mich aufputschte.
Mein Wunsch wurde erfüllt: Nach den Pet Shop Boys mit »Go West« legten die Rehupiikles los, und ich trommelte auf dem Lenkrad mit. Mein Musikgeschmack brachte Antti regelmäßig zur Verzweiflung, ich hatte eine Schwäche für die allerpuber-tärste, intelligenzfreie Rockmusik, für Popeda und Klamydia, während er allerhöchstens alte Platten von David Bowie und Pink Floyd hörte.
Ich holte Pihko auf dem Revier ab, gemeinsam machten wir uns auf den schon vertrauten Weg nach Nuuksio und Rosberga.
Was ich dort suchte, wusste ich allerdings nicht.
Pihko erkundigte sich nach meinen Ermittlungen in Karhumaa und berichtete über Johannas erste Vernehmung. Offenbar hatte Aira etwa zwei Stunden am Tor gelegen, bevor Johanna sie fand, das ließ jedenfalls der Schnee vermuten, der auf ihr lag.
Pertsa hatte Johanna zuerst ganz sachlich befragt, dann aber angedeutet, sie habe am Tor auf Aira Rosberg gewartet, die alte Frau mit der Bärenstatue niedergeschlagen und ein paar Stunden später angeblich gefunden.
»Dann hat Ström gesagt, was für ein Pech es doch für Frau Säntti wäre, dass der Schlag nicht tödlich war und dass Aira Rosberg nicht einmal erfroren ist wie ihre Nichte, weil es diesmal nicht so kalt war und sie außerdem ihren Persianerman-tel anhatte. Diese Säntti war bis dahin unglaublich schüchtern, sie hat auf Ströms Fragen mit Müh und Not ein Ja oder Nein herausgebracht. Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als sie plötzlich ausgerastet ist. Sie hat gebrüllt, das wäre Schwachsinn, sie würde doch nicht den einzigen Menschen umbringen, bei dem sie Zuflucht findet. Ström wusste gar nicht, wie ihm geschah.
Puupponen war als dritter Mann dabei, zum Protokollführen, und ist vor Lachen bald erstickt, der hasst Ström ja fast so wie du.«
»Wie bitte? Ich hasse Pertti Ström? Wer ist das überhaupt?«
Dass gemeinsame Trauer
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