Lehtolainen, Leena
Maria zum Mittagsschlaf hingelegt hatte und Elisa aus der Schule gekommen war und ihr die größeren Kinder abnehmen konnte. Also verließen wir dann doch gemeinsam mit Leevi Säntti das Haus und machten uns auf den Weg zu Johannas Verwandten.
»Du scheinst Johanna ernsthaft zu verdächtigen, sonst hättest du doch nicht die weite Reise auf dich genommen, um Erkundigungen über sie einzuziehen«, meinte Minna, als wir in gemächlichem Tempo zu dem Hof Yli-Koivisto fuhren, wo Johannas Vater, ihr ältester Bruder mit seiner Familie und der noch unverheiratete jüngste Bruder lebten.
»Es geht nicht nur darum«, antwortete ich kurz angebunden.
Worum es mir ging, wusste ich selbst nicht genau, ich wollte einfach mehr über Johannas Leben in Karhumaa wissen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte auch ihr großer Bruder viele Kinder, daher erwartete ich ein Haus voller Leben. Das dunkelrot gestrichene Gebäude stammte aus dem neunzehnten Jahrhundert, und der daran anschließende Kuhstall sah stattlich und gepflegt aus. Auf dem Hof standen keine Autos, doch vor der geräumigen Garage entdeckte ich frische Reifenspuren.
Niemand machte auf, obwohl wir zuerst ein paar Mal klopften und dann sogar klingelten – auf dem Land ein sicheres Zeichen dafür, dass es sich bei den Besuchern um Fremde handelt.
Nachdem wir festgestellt hatten, dass auch der Kuhstall abgeschlossen war und im Haus kein Licht brannte, fuhren wir wieder ab. Entweder waren die Yli-Koivistos tatsächlich nicht zu Hause, oder sie wollten um keinen Preis mit der Polizei sprechen.
Johannas Elternhaus lag ein wenig abseits vom Dorf, und der dunkle Anstrich ließ es düster und verschlossen wirken. Es wunderte mich nicht, dass Maija-Leena Yli-Koivisto es vorzog, im moderneren Haus ihrer Schwester zu wohnen. Bei unserer Rückkehr wuselte sie geschäftig im Haus umher, wie die rechtmäßige Hausherrin. Ich erinnerte mich an Johannas Bemerkung, wenn sie bei der Geburt ihres Kindes gestorben wäre, hätte Leevi in Maija-Leena eine Nachfolgerin gefunden.
Was mochte geschehen, wenn Johanna sich scheiden ließ? Ich wusste nicht, ob die Altlaestadianer es so hielten wie die Katholiken und Geschiedenen eine neue Eheschließung verwei-gerten. Würde Maija-Leena ihrem Schwager trotzdem dienen?
Denn dass Maija-Leena Yli-Koivisto in Leevi verliebt war, sah man auf den ersten Blick. Sie sprach von ihm wie von einem Halbgott und duldete keine Kritik. Johanna habe gewusst, dass Abtreibung Sünde sei. Gott hätte sich gewiss um sie und ihr Kind gekümmert. Was mochte Johanna empfunden haben, als ihr klar wurde, dass alle ihre Angehörigen bereit waren, sie zum Tod zu verurteilen? Eigentlich hatten wir etwas gemeinsam: Wir hatten beide in Lebensgefahr geschwebt. Johanna hatte sich allerdings selbst gerettet, während ich aus purem Zufall überlebt hatte.
»Auch für die Kinder ist es besser, dass Johanna nicht hier ist.
Ihre Besuche bringen sie nur durcheinander, Maria hat jetzt wieder mehrere Nächte unruhig geschlafen. Den größeren kann man wenigstens erklären, worum es geht, aber die kleineren verstehen es noch nicht.« Maija-Leena nähte Knöpfe an ein dunkelblaues Kleid, das ungefähr einer Sechsjährigen passen mochte. Im Ofen brutzelte Hackbraten, Brotteig lag zum Gehen in einer Schüssel. Im Nebenzimmer las die elfjährige Elisa ihren kleinen Geschwistern aus einem Buch vor, in dem jemand seine Schäfchen verloren hatte.
»Mögen Sie Ihre Schwester?«
Maija-Leena blickte von ihrer Näharbeit auf, senkte den Blick jedoch rasch wieder, als fürchte sie, ihre Augen würden sie verraten.
»Sie ist so viel älter als ich … Als ich klein war, habe ich sie sehr bewundert, sie war so nett und hat immer mit mir gespielt.
Und als sie und Leevi dann geheiratet haben, war das ein wunderschönes Fest! Alle im Dorf haben gesagt, auf Johanna liegt der Segen des Herrn, weil sie einen so guten Mann bekommen hat. Ein bisschen habe ich mich gewundert, als ich in der Oberstufe war und sie mich drängte zu studieren, sie hat sich beklagt, weil sie selber kein Studium machen konnte. Dabei hatte sie doch ein schönes Haus und viele gesunde Kinder, was wollte sie denn mehr? Es kommt mir so vor, als hätte sie schon seit Jahren weltliche Gedanken gehabt. Die hat sie auch in Annas Herz gesät, so dass ihr Vater sie ihr mit der Rute austrei-ben musste.«
»Schlägt Leevi Säntti seine Kinder?«, fragte Minna ruhig. Wir sahen uns nicht an, aber es war uns beiden klar, dass Johanna
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