Lehtolainen, Leena
allem Streit ein Ende setzt, gibt es nur im Märchen. Pertsa war nach Palos Tod derselbe Scheißtyp wie vorher. Ich war froh, dass er mit Taskinen an einem anderen Fall arbeitete und ich Pihko als Partner hatte. Wir schlitterten den Hügel nach Rosberga hinauf. Seltsamerweise stand das Tor offen. Warum wohl? Soweit ich informiert war, hatten die Kriminaltechniker ihre Untersuchungen abgeschlossen. Ich maß die Mauer mit den Augen ab. Ich hätte die Statue nicht ohne Leiter von der Mauer holen können, für Antti mit seinen eins neunzig wäre es dagegen ein Kinderspiel gewesen. Ließ sich daraus etwas schließen? Der Hof lag verlassen da. Der Parkplatz und ein schmaler Gang zur Tür waren erst vor kurzem freigeschaufelt worden, und auf den freigelegten, eisglatten Reifenspuren kam unsere Dienstkarosse, ein Lada, gefährlich ins Rutschen. Zehn Zentimeter vor dem Schneewall konnte ich ihn zum Stehen bringen.
»Ich möchte wetten, dass die Winterreifen nicht mehr zulässig sind«, seufzte ich und stieg aus. Die Haustür war geschlossen, und ich musste dreimal klingeln, bevor Johanna aufmachte.
»Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, ich war am Telefon«, erklärte sie ohne den unterwürfigen Ton, den ich an ihr kannte. »Ein furchtbares Chaos mit der Stornierung der Kurse. Jemand muss sich ja darum kümmern, solange Aira im Krankenhaus liegt.«
Die Verwandlungsspiele in den Frauenzeitschriften, bei denen Lieschen Müller in eine strahlende Schönheit verzaubert wurde, hatten mich immer schon fasziniert. Es war, als hätte Johanna eine solche Prozedur mitgemacht, auch wenn sie kein in zweistündiger Arbeit entstandenes Make-up trug wie die Frauen in den Illustrierten. Was sie so verändert aussehen ließ, waren ihre gerade Haltung, die Kleidung – Jeans und Pullover statt Omakleid – und die bis auf den Rücken fallenden Locken, die heller und glänzender wirkten. Offenbar hatte Johanna es gewagt, die Haarfarbe, die der Schöpfer ihr zugedacht hatte, ein wenig abzuändern.
»Ich habe gestern deine Familie besucht«, sagte ich. »Anna ist wirklich ein patentes Mädchen, und die Kleinen sind so niedlich
…« In ihrem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Traurigkeit, doch gleich darauf gewann der Ärger die Oberhand.
»Ja, das sind sie, und ich will sie jetzt endlich zu mir holen.
Ich habe sowohl in Espoo wie in Helsinki eine kommunale Mietwohnung beantragt, aber auf beiden Ämtern hat man mir gesagt, es gäbe nur ganz wenige Wohnungen, die groß genug für uns wären, und für die gibt es lange Wartelisten. Uns würde notfalls eine Zweizimmerwohnung reichen, aber die bekommen wir nicht, das wäre gegen irgendwelche Vorschriften! Und die Mieten auf dem freien Markt kann ich mir nicht leisten. Außerdem bin ich noch in Karhumaa gemeldet. Ich brauche einen festen Wohnsitz in Espoo, vorher kommt die Sache nicht in Gang. Hier kann ich keine Sozialhilfe beantragen, und solange ich mit Leevi verheiratet bin, bekomme ich auch kein Arbeitslo-sengeld, die Einkommensgrenzen sind so niedrig.«
Johanna sprach so lebhaft wie ihre Tochter Anna. War sie, als ich sie vor Weihnachten in Rosberga kennen gelernt hatte, von einer tiefen Depression oder von Psychopharmaka gelähmt gewesen? Welcher seelische Schönheitssalon hatte sie so verwandelt? Oder war die stille Johanna doch die echte und die Frau, die jetzt vor mir stand, eine manisch gewordene Mörderin?
»Wovon lebst du denn jetzt, hast du Ersparnisse?«, fragte ich, obwohl es mich eigentlich nichts anging.
»Elina hat mir fünftausend Finnmark geliehen. Viel brauche ich hier ja nicht, ich zahle keine Miete, und das Essen hat Aira bezahlt. Aber so kann es nicht ewig weitergehen. Wenn Aira wieder gesund ist, leg ich los!«
Ich griff das Stichwort Aira auf, stellte Johanna ungefähr dieselben Fragen wie Pertsa am Tag davor und bekam dieselben nichtssagenden Antworten. Johanna hatte nichts gehört und nichts gesehen, denn im Fernsehen lief eine alte Serie mit Kommissar Harjunpää, die für Johanna taufrisch und spannend war, wie alle Sendungen. Sie wusste nicht, mit wem Aira in den letzten Tagen gesprochen hatte, das Telefon hatte jedenfalls ständig geklingelt. Aira hatte ihr nur gesagt, sie wolle zwei ehemalige Kolleginnen besuchen. Pertsa und Pihko hatten die beiden Frauen bereits befragt, aber auch dort war das Ergebnis mager: Aira sei ungewöhnlich still gewesen, doch das hätten sie auf Elinas Tod zurückgeführt. Der Anschlag auf Aira war alles in allem nicht
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