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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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Beurteilung abgegeben, davon hielt einer das Seminar für schwach und meine Sachkenntnis für mangelhaft. Dagegen hatten zwei »durchschnittlich« und drei sogar
    »gut« angekreuzt. Anhand der Handschrift konnte ich die Antworten zuordnen und stellte überrascht fest, dass auch der arrogante Kommilitone aus dem Proseminar meinen Kurs für gelungen hielt. Das freute mich besonders.
    Ich gab meine Magisterarbeit an dem Tag ab, an dem Viivi und ich zu unserer Kreuzfahrt aufbrachen. Wir brachten unser Gepäck in die Kabine, gingen in die Bar und bestellten Sekt. Ich hatte mich entschlossen, mir mit Mutters Geld ein wenig Luxus zu leisten. Statt am kalten Buffet würden wir à la carte speisen, wie wohlhabende Frauen.
    Viivi hielt nach Männern Ausschau und meldete mir jedes interessante Exemplar. Ich nippte an meinem Sekt und versuchte mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass ich tatsächlich meine Magisterarbeit abgeschlossen hatte. Fast drei Jahre hatte ich daran gearbeitet, mal das Thema, mal den Blickwinkel gewechselt, dann wieder alles hingeschmissen, neue Theorien aufgestellt und schließlich noch die Interviews eingeschoben.
    Mein Professor wollte die Arbeit lesen, bevor ich sie offiziell einreichte. Offenbar konnte auch er nicht glauben, dass sie kein halbfertiges Machwerk mehr war.
    Draußen war es fast dunkel, man sah nur vereinzelte Lichter am Ufer. Der Wind heulte, das Schiff schaukelte, und ich musste an den Film »Titanic« und an den Untergang der »Estonia«
    denken. Ich trank Sekt, sehnte mich aber nach Hochprozenti-gem. Alles machte mir Angst.

    Ich hatte mich bemüht zu vergessen, was Sara nach der Adventsfeier gesagt hatte: »… vielleicht ein schutzloses Wesen.
    Zum Beispiel ein Kind.« Dennoch drangen die Worte aus der Dunkelheit an mein Ohr, und nun tauchte auch Ranes Gesicht aus den Wellen auf.
    War es möglich, dass ich … Der Gedanke war so erschreckend, dass ich mich nicht auf ihn einlassen konnte. In der Therapie hatte ich mich geweigert, über schlimme Dinge wie Vaters Weggang und Opas Tod zu sprechen. Aber warum hätte man ein kleines Kind decken müssen, Vierjährige kamen doch nicht ins Gefängnis. Oder hatte ich mit dem Hammer auf Großvater eingeschlagen, weil Saras Inzestgeschichten der Wahrheit entsprachen?
    »Guck dir die beiden an!« Viivis Kichern riss mich aus meinen Gedanken. Sie zeigte auf zwei etwa dreißigjährige kurzhaarige Muskelprotze, die absolut nicht mein Typ waren. Viivi zog mich oft damit auf, dass ich nur auf dünnbeinige, lockige Rockmusiker stand.
    Die Männer holten sich an der Theke etwas zu trinken und sahen sich dann nach einem freien Tisch um. Viivi warf ihnen feurige Blicke zu. Ich hatte ihre Technik immer bewundert, und auch diesmal verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Die beiden setzten sich an den Nebentisch und fingen schon bald ein Gespräch an. Sie waren Programmierer, kamen aus Lahti, und der eine der beiden hatte die Kreuzfahrt ebenfalls gewonnen.
    Obendrein lag ihre Kabine neben unserer.
    Besonderes Interesse hatte ich nicht, denn bei beiden sah man noch, wo vor der Abfahrt der Ehering gesessen hatte, und für Gespräche über Eishockey hatte ich auch nicht viel übrig. Ich trank mein Glas leer und sagte zu Viivi, ich wolle ins Taxfree gehen und auch gleich einen Tisch im Restaurant reservieren.
    Sie kam nicht mit.

    Ich kaufte Salmiak, eine Flasche trockenen Weißwein als Mitbringsel für Karri und zwei Miniflaschen Kognak für mich.
    Im Restaurant war erst um halb zehn ein Tisch frei. Ich holte meinen Mantel und ging an Deck, so hoch hinauf wie möglich.
    Es war ein paar Grad unter null, nach Westen hin klarte der Himmel auf. Ich trank einen Schluck Kognak und versuchte, an nichts zu denken als an den Wind, der mir ins Gesicht peitschte.
    Es wurde ein netter Abend, obwohl die Männer aus Lahti uns nicht von der Seite wichen. Es tat mir gut, weder an die Vergangenheit noch an den morgigen Tag zu denken. Ich tanzte ein paarmal mit dem kleineren der beiden Männer und hielt mich beim Trinken zurück, um ihn nicht plötzlich in einem allzu vorteilhaften Licht zu sehen. Ich war erleichtert und zugleich beleidigt, als er keine Annäherungsversuche machte. Kurz nach eins ging ich schlafen. Viivi schlüpfte viel später und zum Glück ohne Begleitung in die Kabine.
    Am nächsten Morgen verschliefen wir und wurden erst von der Durchsage wach, das Schiff habe soeben in Stockholm angelegt. Es war halb zehn, wir hatten reichlich Verspätung.
    »Ich komm

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