Lehtolainen, Leena
Freund von Kaitsu eingefallen, Yazu. Der bringt kein eigenes Wort heraus, nur Zitate aus Songs.«
Nun lachte auch Karri. »Unglaublich! Schreibst du eigentlich noch Lieder?«
»Ja. Im Frühjahr schließe ich den Einserkurs ab. Das schaffe ich also nicht vor meinem dreißigsten Geburtstag.«
»Der ist am vierundzwanzigsten Februar. Da sind wir wahrscheinlich in Finnland. Gibst du eine Party?«
Die Entscheidung darüber hatte ich vor mir hergeschoben, denn der dreißigste Geburtstag schien mir eher ein Anlass zur Verzweiflung zu sein. Ich war noch immer nicht mit dem Studium fertig, hatte keinen Mann und keine Kinder, das Einzige, was ich vorweisen konnte, waren falsch gelebte Jahre.
»Samuli würde gern hören, wie du singst. Ich habe ihm von deiner wunderschönen Stimme vorgeschwärmt. Für Musikalität hatte ich schon immer eine Schwäche.«
Diesen neuen, flirtenden Karri kannte ich nicht. Ich brachte es nicht fertig, mich auf den Flirt einzulassen.
»Welche Stimmlage hat Samuli denn?«
»Er ist Tenor! So ein leichter, vom englischen Typ.«
»Wie Peter Grimes?«
»Frag ihn selbst, wenn er kommt. Soll ich dir die Wohnung zeigen?«
Die Küche war modern und kühl, alles war säuberlich in Glas-und Stahlschränken verstaut. Das Doppelbett im Schlafzimmer bewies, dass es sich hier nicht um eine harmlose Wohngemeinschaft handelte. Samuli hatte ein schallisoliertes Musikzimmer mit einem kleinen Flügel, auf dem ich ein paar Töne anschlug.
Das Instrument war perfekt gestimmt, die Tasten reagierten auf die leichteste Berührung. Ich riss mich von den interessanten Notenstapeln los und folgte Karri in sein Studierzimmer, das voller Bücher, Papiere und Kunstplakate war. Karri schrieb seine Dissertation über die Verbindungen der finnischen Lyri-kergruppe Quosego zu schwedischen Dichtern der 1920er Jahre, ein Thema, über das ich so gut wie nichts wusste.
Auf dem Schreibtisch standen einige gerahmte Fotos. Karris Eltern, ein Hochzeitsbild seiner Schwester Elina, Samuli im Rokokokostüm, mit Perücke und roten Lippen und …
Karri und ich in Mutters Küche, Tee trinkend und uns anla-chend. Ein glückliches Bild voller Wärme. Es war in dem Frühjahr entstanden, als wir Abitur machten. Ich besaß das Bild auch, es lag zuunterst in einer Schachtel, ich hatte es oft zerrei-
ßen wollen. Karris Abzug steckte in dem gleichen schmalen Rahmen wie die anderen Bilder.
»Du hast das alte Foto noch«, sagte ich mit heiserer Stimme.
»Natürlich! Nach dem Foto hat Samuli dich in der Oper erkannt, er hat dich nämlich als Erster gesehen. Die Bilderrahmen habe ich vor vier Jahren gekauft, als wir hier eingezogen sind.
Ich wollte die gleichen Rahmen für die wichtigsten Menschen in meinem Leben.«
Das war zu viel für mich. Ich brach in Tränen aus. Karri kam zu mir, zog mich in seine Arme und streichelte mir den Rücken.
Auch diese Szene hatte ich mir immer wieder ausgemalt. Doch jetzt wusste ich, dass sie anders ausging als in meinen Träumen.
Erst jetzt hatte ich ausgeträumt.
Als die Wohnungstür ging, löste ich mich von Karri.
»Huhu!« Samulis Stimme klang wie ein tiefer Flötenton.
»Wir sind hier«, rief Karri. Ich wischte mir mit den Händen die Tränen ab, die immer weiter liefen. Samuli kam herein. Er sah jenem Karri, den ich früher gekannt hatte, so ähnlich, dass mir gleichzeitig zum Lachen und zum Kotzen war. Auch er umarmte mich wie eine alte Bekannte.
»Hast du Salat gemacht?«, fragte er und küsste Karri auf den Mund. Der Anblick tat mir weh.
»Ich bin noch nicht dazu gekommen …«
»Aber die Lasagne ist im Ofen, oder hast du auch das vergessen?«
»Nein.«
»Karri vergisst eines Tages noch seinen Kopf, wenn ich nicht aufpasse. War er schon so, als ihr zusammen wart?«, fragte Samuli und grinste mich an.
»Ja. Du hast mein ganzes Mitgefühl«, antwortete ich. So redete man in Salonkomödien, locker und witzig. Ich ging zurück ins Wohnzimmer und trank ein wenig Wein, der mir tröstend den leeren Magen streichelte. Karri und Samuli bereiteten in der Küche den Salat zu, wobei sie sich spielerisch zankten, wie es glückliche Paare wohl zu tun pflegen. Es roch nach Nudeln und Artischocken.
»Komm, Katja, das Essen ist fertig«, rief Samuli. Der runde Küchentisch war für drei gedeckt. Samuli trank keinen Wein, weil er am Abend singen musste. Die beiden erzählten, sie seien Laktovegetarier. Dann fragte Samuli mich nach meiner Singerei.
Karri hatte ihm offenbar ein viel zu schmeichelhaftes
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