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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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hatte mir geraten, ihm einen Helm zu kaufen. Sprechen lernte er viel später, erst mit knapp zwei Jahren. Bei Katja war die Entwicklung umgekehrt verlaufen, sie lernte zuerst singen, dann sprechen und als Letztes gehen. Geh! Geh!
    Eine junge schwarzhaarige Krankenschwester kam zu mir. Sie war zu stark geschminkt.
    »Guten Tag. Kaitsu ist aufgewacht, aber der Arzt muss ihn noch untersuchen, und dann will die Polizei mit ihm sprechen.
    Soll ich den Arzt bitten, zu dir zu kommen, wenn er fertig ist?«
    »Tun Sie das«, antwortete ich. Ich hatte niemandem das Du angeboten. In der Buchhandlung siezte ich auch jeden über dreißig, obwohl sich manche darüber wunderten und Sara über meine Steifheit lachte.

    Die Schwester ging, ihre weichen Schuhsohlen machten leise Geräusche auf dem blankgebohnerten Fußboden, als wollten sie um Entschuldigung bitten. Nach einer Weile kam sie mit einer Zeitung zurück.
    »Haben Sie die schon gesehen?«, fragte sie. »Hier steht etwas über Ihren Sohn.«
    Kaitsu wurde gleich auf der ersten Seite erwähnt. »Abgeordneter in tödlichen Unfall verwickelt: ›Autodiebstähle müssen verhindert werden‹« lautete die Schlagzeile. Darunter waren zwei kleine Fotos abgedruckt, von Kaitsus schwer zerdelltem Taxi und von einem anderen Wagen, der gegen einen Laternen-pfahl geprallt war. Der eigentliche Bericht folgte auf der nächsten Seite, wo sich auch ein Foto von Sarvimäki fand. »Der sozialdemokratische Abgeordnete Timo Sarvimäki aus Siuntio war unter den Opfern des Unfalls, der sich in der vergangenen Nacht auf der Hankoer Landstraße ereignete. Bei dem Zusam-menstoß starben zwei 16-jährige Jungen, die in einem widerrechtlich angeeigneten Pkw unterwegs waren.
    ›Wenn der Taxifahrer nicht blitzschnell reagiert hätte, wären auch wir nicht mehr am Leben‹, versichert Sarvimäki, der mit seiner Frau Anna und der gemeinsamen Tochter Johanna, 16, im Taxi gesessen hatte. Die Familie war auf dem Heimweg von einem Urlaub auf Madeira.
    Der Wagen der beiden Jungen prallte gegen einen Lichtmast, sie waren sofort tot. Der Taxifahrer erlitt schwere Verletzungen an der Halswirbelsäule und an den inneren Organen. Nach Angabe der Polizei war er nicht angeschnallt gewesen.«
    Der letzte Satz brachte mich auf. Was sollte die Bemerkung?
    Taxifahrer waren von der Gurtpflicht ausgenommen! Ob Kaitsu den Gurt angelegt hatte oder nicht, war nebensächlich, die Schuld an dem Unfall trugen die betrunkenen Raser.
    Im selben Moment kam der Arzt. Er war in meinem Alter und sah genau so aus, wie ein Arzt aussehen soll.

    »Der Zustand Ihres Sohnes ist stabil, es besteht keine Lebensgefahr mehr. Er ist bei Bewusstsein und kann sprechen. Wir haben die inneren Verletzungen unter Kontrolle bekommen, aber es ist noch eine weitere Operation an der Halswirbelsäule nötig. Wir fangen an, sobald ein OP frei wird.«
    »Wird die Operation erfolgreich sein?«
    »Die Chancen stehen etwa fünfzig zu fünfzig. Wir tun unser Bestes. Sie können zu ihm, sobald die Polizisten mit ihm gesprochen haben.«
    »Was will die Polizei von ihm? Die anderen hatten doch Schuld.«
    »Ja. Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Ich habe den Beamten nur zehn Minuten zugestanden.«
    Nun kam mir die Zeit vor wie ein endloser Flur, über den die Beine mich kaum tragen wollten. Endlich holte mich die Schwester. Auf dem Gang kamen uns zwei uniformierte Polizisten entgegen, von denen der eine sein Mobiltelefon benutzte, obwohl das im Krankenhaus doch verboten war. Ich schnappte die Worte »Tiainen« und »Anklage« auf und blieb vor dem anderen Beamten stehen.
    »Haben Sie gerade meinen Sohn vernommen? Was wollen Sie denn von ihm?«
    Der Polizist war groß, hatte schlechte Haut und roch nach Zigaretten.
    »Fragen Sie ihn selbst«, sagte er verächtlich grinsend.
    Als ich Mutter zum letzten Mal sah, hing sie an Schläuchen und wurde künstlich beatmet. Kaitsu sah genauso aus: Ein Gerät maß die Herztätigkeit, ein anderes pumpte Kochsalzlösung in die Vene, das dritte war wohl ein Katheter. Zum Glück brauchte er wenigstens kein Atemgerät. Er hatte ein Pflaster auf der Stirn und eine Art Gips um den Hals.

    »Höchstens eine Viertelstunde«, mahnte die Krankenschwester. »Er braucht Ruhe.« Ich trat ans Bett und versuchte Kaitsus Blick einzufangen. Er sah mir nicht in die Augen.
    »Kaitsu! Hast du große Schmerzen?«
    »Ich wünschte, ich würde überhaupt was spüren! Hat man dir nicht gesagt, dass ich von der Taille abwärts gelähmt

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