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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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verlorenen Vaters nicht zu verderben, begleitete ich Eero nur bis vor Kaitsus Zimmer und blieb draußen auf dem Gang. Ich hatte es noch nicht übers Herz gebracht, Sirkka zu erklären, dass es unsinnig war, den Abgeordneten Sarvimäki in Kaitsus Angelegenheit um Interven-tion zu bitten. Sarvimäki hatte im Parlament Brandreden über die Drogengefahr gehalten und sich in den Lokalzeitungen über die Pflegestätte für Rauschgiftsüchtige aufgeregt, die in Siuntio eingerichtet werden sollte. Auf das Fahren unter Einfluss von Rauschmitteln stand sicher nur eine Geldstrafe, aber der Anwalt des minderjährigen anderen Fahrers würde natürlich versuchen, Kaitsu als Mitschuldigen hinzustellen.
    An sich hatte ich vorgehabt, Eero zum Essen auszuführen und ihm Nachtquartier bei mir anzubieten. Aber ob seine Religion von der barmherzigen Sorte war? Erlaubte sie ihm ein oder zwei Glas Bier zum Essen? Seine Wortwahl versprach nichts Gutes.
    Auch Clasu war im Kirchenchor und behauptete zu glauben, was er dort sang, aber er ließ sich das Leben dadurch nicht vermiesen. Ich spöttelte gelegentlich, ich hätte mir nie träumen lassen, mit einem guten Menschen und aufrechten Christen befreundet zu sein, doch Clasu lächelte irritierend gleichmütig und meinte, da ich an keinen Gott glaube, dürfe mich das eigentlich nicht stören.
    Ich war erleichtert, als ich hörte, dass Kaitsu unmittelbar vor meiner Ankunft eingeschlafen war. Die Krankenschwester berichtete, er habe sich sehr gequält und verzweifelt versucht, seine Beine zu bewegen. Schon als Kind hatte Kaitsu keine Minute still sitzen können. Schnelles Fahren war sein Lebens-elixier, Computersimulatoren würden ihm den Geschwindig-keitsrausch sicher nicht ersetzen. Natürlich hatte ich Geschichten von Gehbehinderten gelesen, die ein glückliches und erfülltes Leben führten, und der Film »Mein linker Fuß« hatte mir im Grunde sogar gefallen. Aber Kaitsu würde es kaum als befriedigend empfinden, mit dem großen Zeh ein paar Worte zu schreiben.

    Ich fragte die ältliche Schwester, wie es um Kaitsus Sexualle-ben bestellt sein würde.
    »Wenn die Lähmung anhält, tut sich in der Hinsicht nichts mehr.«
    Den Männern unserer Familie war es offenbar nicht vergönnt, sich fortzupflanzen. Und Katja wurde auch schon bald dreißig.
    Ich hasste das Gerede von der biologischen Uhr, und für uns Männer tickte sie ja auch nicht so schnell wie bei den Frauen.
    Im Grunde meines Herzens hegte ich wohl doch den Wunsch, irgendwann einmal Vater zu werden. Im Sommer stand mein fünfundvierzigster Geburtstag an. Viele Männer ließen sich viel länger Zeit. Jedenfalls hatte ich mein Schicksal selbst gewählt, während Kaitsu die Entscheidung womöglich abgenommen wurde.
    Mir war nicht ganz klar, warum ich auf Eero wartete. Vielleicht wünschte ich mir insgeheim, dass es doch noch zu einer Begegnung zwischen ihm und Sirkka kam. Es wäre interessant zu sehen, ob sich daraus eine Komödie oder ein Trauerspiel entwickelte.
    In heftigem Stakkato klapperten Absätze über den Flur. Sie gehörten einer zierlichen, verängstigten Krankenschwester.
    »Könnten Sie vielleicht … Es gibt Streit um ein Gebet. Sie sind doch ein Angehöriger von Kaitsu Tiainen?«
    »Sein Onkel.« Ich folgte der jungen Frau, deren kleiner Hintern vor mir herwackelte. Ihre Absätze waren höher, als ich sie je bei einer Krankenschwester gesehen hatte.
    Eero kniete auf allen vieren neben dem Bett, er blutete an der Lippe. Kaitsu hatte ihm den Tropf samt Schläuchen an den Kopf geworfen. In den Armen hatte der Junge jedenfalls Kraft genug.
    »Der Kerl betet nicht für mich, der nicht!«, brüllte Kaitsu. Er blutete am Arm, wo die Kanüle beim Herausziehen eine Ader aufgerissen hatte. Auf seinem blassen Gesicht hatten sich rote Flecken gebildet.

    »Komm, Eero, wir gehen auf den Flur.« Ich versuchte, meinem Exschwager aufzuhelfen, doch er fasste sich stöhnend an den Rücken.
    »Ein Hexenschuss … Den bekomme ich manchmal.«
    Letzten Endes musste Eero auf eine Trage gelegt und zum Bereitschaftsarzt gebracht werden, der ihm ein Schmerzmittel injizieren sollte. Die Situation amüsierte mich, doch in Kaitsus Beisein durfte ich nicht lachen. Also ging ich zur Toilette und prustete los. Nachdem ich mich beruhigt hatte, kehrte ich in Kaitsus Zimmer zurück. Auf seinem Arm klebte ein frisches Pflaster, aber seine Miene war so grimmig wie zuvor.
    »So ein …«, sagte er. »Ich hatte überhaupt keine Erinnerung an meinen Vater.

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