Lehtolainen, Leena
aufwärmen musste.
Von der Mikrowelle hatte damals noch niemand etwas gehört.
Wenn es in meiner Kindheit Mikrowellen gegeben hätte, wäre mein Leben viel leichter gewesen.
Auf jeden Fall weiß ich, dass Vati andere Frauen hatte. Als ich einmal aus der Schule kam, war er mit Eila aus dem Frisiersalon im Schlafzimmer. Sie waren alle beide wütend, und Vati gab mir zehn Mark, damit ich Mutter nichts davon erzählte. Das war damals unglaublich viel Geld. Ich überlegte tagelang, welche Süßigkeiten ich davon kaufen würde, wenn ich Gelegenheit hätte, ungestört zum Kiosk im Kirchdorf zu gehen. Im Laden konnte ich nichts kaufen, sonst hätte Mutter gefragt, woher ich das Geld hatte. Dann bat Vati mich, ihm das Geld zurückzugeben, nur leihweise, weil er gerade blank sei. Natürlich gab ich es ihm. Den Zehnmarkschein habe ich nie wieder gesehen, obwohl ich Vati ein paarmal darum bat. Beim letzten Mal gab er mir einen festen Klaps auf den Po und sagte, ich solle das Ganze vergessen.
Erst als ich erwachsen war, erzählte ich Mutter davon. Sie sagte, sie hätte von Eila, Kaija und all den anderen Frauen gewusst.
»Wieso hast du dir das bieten lassen?«, fragte ich wie vor den Kopf geschlagen. Ich glaube, ich war damals zwanzig, bald darauf habe ich vorübergehend die Restaurantfachschule besucht.
»Ach, weißt du, Sara«, antwortete Mutter und lächelte, als würde sie mit Nadelstichen dazu gezwungen, »du verstehst das zum Glück noch nicht, aber diese Mädchen haben mir einen Gefallen getan. Die ehelichen Pflichten haben mir nie viel Vergnügen gemacht, und nach der Arbeit war ich immer so müde. Dein Vater hat mich in Ruhe gelassen, weil er die anderen hatte. Aber von diesen Dingen dürfte ich dir gar nichts erzählen, du bist ja noch so jung.« Dabei errötete sie.
Jung und unschuldig war ich damals längst nicht mehr. Meine Jungfräulichkeit habe ich schon mit sechzehn verloren, weil ich geliebt werden wollte, und Sex war der einzige Weg, von jemandem in die Arme genommen zu werden. Spaß machte es mir eigentlich nicht, obwohl in der »Regina« stand, es wäre himmlisch und wundervoll wie ein Feuerwerk, wenn man den Richtigen gefunden hatte. Make Karttunen aus Tervo war jedenfalls der Falsche. Er war eine Klasse über mir und hatte eine hellbraune Lederjacke und ein Moped. Zwei Monate hat es zwischen uns gehalten, im Januar wollten wir sogar zusammen nach Kuopio zum Freeman-Konzert fahren, aber auf der Weihnachtsfeier seiner Klasse hat Make sich in eine andere verliebt. Seitdem heulte ich jedes Mal vor Schmerz auf, wenn ich die Worte Karttunen oder Tervo hörte. Wenn der Schriftsteller Jari Tervo im Fernsehen auftritt, muss ich heute noch abschalten, die Erinnerungen sind zu qualvoll.
Ich wundere mich nur, dass ich beim ersten Mal überhaupt nicht geblutet habe, obwohl es furchtbar wehtat. Make hat mich gefragt, mit wem ich vor ihm zusammen war, und ich habe geschwindelt, in den Sommerferien bei meiner Tante hätte ich einen Jungen kennengelernt. Ich habe mir immer wieder den Kopf zerbrochen, ob es womöglich Vati war.
Jetzt, wo ich weiß, wie wichtig Sex für das geistige Wachstum des Menschen ist, tut mir Vati leid. Vielleicht hat er nur deshalb getrunken, weil Mutter frigide war. Auf ihrem Hochzeitsfoto sieht sie hübsch aus, allerdings war ich als Kind enttäuscht, dass sie nicht in weißem Kleid und Schleier geheiratet hat, sondern in einem ganz normalen Alltagskleid. Jaana Sahlman aus unserer Klasse durfte mit dem Brautkleid ihrer Mutter spielen, und als wir bei der Frühjahrsfeier ein Stück aufführen mussten, bekam sie die Rolle der Prinzessin, weil sie das passende Kleid hatte.
Ich wäre eine viel bessere Prinzessin gewesen mit meinen blonden Locken und meiner schönen Stimme, aber es half nichts, ich hatte kein Kleid. Mauri hat später gesagt, ich sähe selbst in einem alten Pullover wie eine Prinzessin aus, aber Mauri hat vieles gesagt, was dann doch nicht stimmte.
Ich muss den sexuellen Missbrauch in der Healing-Gruppe zur Sprache bringen. Dort sind noch andere, denen das widerfahren ist, Sanna und Einari. Sie verstehen, dass ein Mensch an einer solchen Erfahrung zerbrechen kann. Es ist keine Schande mehr, darüber zu sprechen.
Sirkka ruft an, während ich noch über die Sache nachdenke.
»Bist du immer noch krankgeschrieben? Ich war gerade im Reformhaus, aber Johanna sagt, du könntest nicht arbeiten.«
»Ich habe noch eine Woche Genesungsurlaub bekommen, weil es mir so furchtbar
Weitere Kostenlose Bücher