Lehtolainen, Leena
da drüben das Leben genommen hat?« Sie wedelte mit der Hand in Richtung Fenster, offenbar meinte sie das Gefängnis. »Ich dachte immer, er wäre in Kuopio gestorben.«
»Ist doch egal, oder?« Ich hängte das Foto wieder an die Wand, obwohl ich es am liebsten zum Fenster rausgeschmissen hätte. Katja hatte sogar einen Rahmen gekauft, zum Glück wenigstens keinen herzförmigen.
»Verdammt nochmal, es ist überhaupt nicht egal, ob er irgendwo in Kuopio gestorben ist oder hier vor meinen Augen!«
Wie sie so dastand, die Arme vor den großen Brüsten verschränkt, hatte sie gewaltige Ähnlichkeit mit einem Hausdra-chen.
»Hast du neue Platten gekriegt? Was Gutes dabei?«, fragte ich, um dem Streit die Spitze zu nehmen. Meine Schwester hält sich über Wasser, indem sie für drei verschiedene Zeitungen Platten bespricht, jede Art Musik, von Oper bis Techno. Für eine Besprechung bekommt sie fünfhundert Mark und natürlich die Platte. Wir haben einen ganz unterschiedlichen Musikgeschmack, daher fällt ab und zu auch für mich was ab, aber die meisten Platten verscherbelt sie. Trotzdem, man muss ganz schön viele Rezensionen schreiben, um auch nur auf ein Krankenschwesterngehalt zu kommen. Vielleicht macht es ihr ja auch Spaß, andere herunterzuputzen. Als ich noch bei Rockit arbeitete und im Geld schwamm, habe ich Katja manchmal Platten abgekauft und sie meinen Freunden geschenkt. Die Zeiten sind jetzt vorbei. Die fünfzig Rockit-Aktien, die man mir damals verkauft hat, um mich an die Firma zu binden, besitze ich zwar noch immer, aber die sind mittlerweile weniger wert als eine Schallplatte.
Katja drückte mir mit boshaftem Gesicht fünf Opernplatten in die Hand. Ich legte die CDs hin und bat sie, Kaffee zu kochen.
Wenn ich nicht in regelmäßigen Abständen welchen bekomme, fange ich nämlich an zu zittern. Im Auto habe ich immer eine Thermoskanne dabei, zwischen zwei Fahrten ist meistens Zeit für einen Schluck.
»Hast du dir nie Gedanken darüber gemacht, dass Rane kein Geständnis abgelegt hat?«, bohrte Katja weiter, als ich Zucker in meinen Kaffee löffelte. Sie hatte wieder mal keine Kekse im Haus. Länger als zwei Tage bleibt bei meiner Schwester nichts liegen, sie ist unglaublich verfressen.
»Nee, hab ich nicht. Der Kerl ist doch so oder so verurteilt worden. Die Richter werden schon gewusst haben, was sie taten, und ein Selbstmord ist so gut wie ein Geständnis.«
»Das sehe ich ganz anders!«
»Katja, hör mal …«, fing ich an, hielt dann aber den Mund.
Wenn meine Schwester sich verrückt machen wollte, sollte sie.
Ich hielt es für das Beste, zu verschwinden.
Am Straßenrand bewegte sich etwas, blieb aber dann doch, wo es war. Nur der Schatten eines Baums, der vom Wind geschüttelt wurde. Am schlimmsten ist immer der Moment, wenn ein entgegenkommendes Auto mich blendet. Ein paar Sekunden lang sieht man gar nichts, und länger braucht ein Elch nicht. Ich hasse es auch, bei Dunkelheit hinter einem anderen Wagen zu fahren, denn man weiß nie, wie der Vordermann reagiert, wenn ihm ein Elch vor den Kühler läuft. Wahrscheinlich grundfalsch, und dann kostet sein Fehler womöglich auch mich das Leben.
Die Sache mit dem Foto fuchste mich noch immer. Ich war erst zwei, als Rane ins Gefängnis kam, ich erinnerte mich nicht an ihn und hatte auch keine Fotos von ihm gesehen. Mein Onkel war ein Mörder, warum hätte es mich interessieren sollen, wie er ausgesehen hatte? Ich selbst habe, was das Aussehen betrifft, überhaupt nichts von meinem Alten mitgekriegt. Ich hab ein hundertprozentiges Liimatainen-Gesicht. Ist aber egal. Mein Vater ist auch so ein Arschloch, von dem ich nichts hören will.
Im Sommer vor zwei Jahren fing Veikko in Pielavesi nach der Sauna plötzlich an, von ihm zu reden. Veikko ist einer von denen, die nach ein paar Bier witzig und redselig werden. Ich würde ihn gern mal nach ein paar EX erleben.
»Als Eero, dein Vater, bei uns daheim seinen Antrittsbesuch machte, war es November, dunkel wie nur was, Frostwetter, aber bewölkt, und es lag kein bisschen Schnee. Mein Alter war ziemlich blau, aber als wir in die Sauna gingen, hat er uns trotzdem zum Wettkampf rausgefordert, wer es am längsten aushält. Er hat natürlich gedacht, der junge Spund aus Helsinki macht sofort schlapp. Rane und ich waren nur der Form halber dabei, der Hauptgegner war Eero. Wir fanden ihn ganz sympathisch, deshalb haben wir ihm geholfen, indem wir Wasser aufgegossen haben wie die Irren, mehr, als wir
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