Lehtolainen, Leena
analysieren konnten. Keine trockenen Auslassungen über Rock ’n’ Roll, sondern eher die Anfangsgründe der Boogietheorie für Studenten der Musikwissenschaft im ersten Semester – von denen natürlich mehr als die Hälfte mindestens den Zweierkurs für ihr Hauptinstrument absolviert hatte und die Musiktheorie hundertmal besser beherrschte als ich. Was bildete ich mir bloß ein?
Ich schaltete den Computer aus und nahm die Schnapsflasche aus dem Schrank. Ein langer, langer Zug … Dann kam das vertraute Brennen, das durch Hals und Nase in den Magen ging und bald bis in die Fingerspitzen zu spüren sein würde. Das Angebot, zu unterrichten, musste schließlich gefeiert werden.
Ich hatte ziemlich erfolgreich studiert, bei den Prüfungen in Musikgeschichte hatte ich lauter Einser bekommen. Na gut, das Seminar war mir nur deshalb angeboten worden, weil derjenige, der ursprünglich vorgesehen war, überraschend ein Promotions-stipendium bekommen hatte. Aber immerhin, der Professor hatte keinen meiner Kommilitonen gebeten, einzuspringen, sondern mich. Schade, dass es zu spät war, um meinen Namen im Vorlesungsverzeichnis anzugeben.
Für den nächsten Drink nahm ich ein Glas. Dann ging ich meine Plattensammlung durch. Die finnische Rockmusik der achtziger Jahre war zum Glück reichlich vertreten, Eppu Normaali, Popeda – ein Geschenk von Kaitsu –, Ratsia und Dingo. Karri hatte sich kategorisch geweigert, Dingo zu hören.
»Du mit deinen lächerlichen Vorurteilen! Dingo ist nichts für Männer? Wenn du ein echter Kerl sein willst, musst du dir das anhören«, hatte ich ihn aufgezogen.
»Aber der Neumann blökt so fürchterlich.«
»Du blökst ja selber.«
Über das Thema hatte ich sogar einen Song geschrieben, nachdem Karri Schluss gemacht hatte. »Ich werde nie mehr Dingo auflegen.« Es war einer meiner schlechtesten geworden, ich hätte ihn am liebsten vergessen. Genau diese Art von Songs, mit abgegriffenen Melodien und blödem, pathetischem Text, plagte mich jedes Mal, wenn die anderen Stimmen kamen.
Karri war der Erste, dem ich von den Schreien in meinem Kopf erzählte. Er ging in die Parallelklasse, und wir hatten uns seit einer Ewigkeit gekannt, aber erst auf einer Fete im letzten Jahr vor dem Abitur kamen wir ins Gespräch. Die Pärchen unter den Gästen hatten sich schon früh in die Knutschecken verzogen, und wer keinen Partner hatte, langweilte sich eben. Ich sah mir gerade die Plattensammlung der Gastgeber an, als Karri plötzlich neben mir stand.
»Was Gutes dabei?«
Ich war verblüfft: Versuchte er mich anzumachen? Er war groß und dunkelhaarig und galt trotz Akne und Brille allgemein als gutaussehend.
»Kommt darauf an, was du unter gut verstehst«, antwortete ich, ohne jeden Versuch zu flirten, denn im Flirten war ich schon als Teenager miserabel gewesen. Karri klärte mich darüber auf, was gute Musik war. Es stellte sich heraus, dass sein Geschmack so zwiespältig war wie meiner, er mochte klassische Musik und Rock, da allerdings vor allem ältere Sachen, Beatles, Pink Floyd und Bob Dylan.
Wir gingen gemeinsam von der Party nach Hause, und beim Abschied war ich ein wenig enttäuscht, weil er nicht einmal versuchte, mich zu küssen. Am Montag in der Schule suchte ich ihn, und in der Mittagspause unterhielten wir uns wieder. Einige Tage später fragte er mich, ob ich mit ihm in die Oper gehen wolle. Seit der Aufführung in Savonlinna war ich nicht mehr in der Oper gewesen, aber ich sagte zu.
»In die Oper?«, fragte Mutter neugierig, als ich beim Abend-brot sagte, ich bräuchte einen neuen Rock. »Sind die Karten nicht furchtbar teuer?«
Ich hatte im Sommer gejobbt und gab das Geld mit Vergnügen für eine Opernkarte aus.
Bis dahin war ich noch nie länger als ein paar Abende mit jemandem befreundet gewesen, jede aufkeimende Beziehung war schnell in sich zusammengefallen, weil mich keiner der Jungen besonders interessiert hatte. Ich hatte lieber von Kode Salama geträumt.
Nur mit der Opernkarte hatte sie allmählich begonnen, unsere seltsame Beziehung. Und sie hatte vier Jahre gehalten. Vier Jahre, in denen wir nicht ein einziges Mal miteinander geschlafen hatten. Karri, der Mistkerl!
Mein Glas war leer, ich goss mir nach. Ein Schluck, und schon ging es mir besser. Ich setzte die Kopfhörer auf, jetzt wollte ich Dingo hören und Karri nachträglich eins auswischen.
Ich erwachte mit einem entsetzlichen Brummschädel. Wie viel ich getrunken hatte, wusste ich nicht mehr. Die Flasche war
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