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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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fast leer, und auf dem Tisch lag ein Zettel, der mich daran erinnern sollte, dass ich Postafen genommen hatte. So viel Verstand hatte ich also immerhin noch gehabt. Meine Hände zitterten, der Plattenspieler lief noch. Als Letztes hatte ich Salamasota gehört.
    Ich nahm zwei Kopfschmerztabletten und zwang mich, Kaffee zu trinken und einen Joghurt zu essen. An sich hatte ich vorgehabt, zu joggen, aber daraus wurde nun nichts. Die Sonne schob sich vorsichtig durch den Dunst, das Meer schimmerte in Pastellfarben, blau und rosa, es sah weich aus wie ein riesiges Wollknäuel. Die Inseln wirkten nicht so dunkel und verlassen wie sonst. Auf der Vellamonkatu wurde ein Motorrad angelas-sen, das Knattern vibrierte in meinem Kopf. Als ich die Zeitung aufschlug, tanzten mir die Buchstaben vor den Augen. Ich las nur die Todesanzeigen, Geburts- und Hochzeitsanzeigen übersprang ich, aus Angst, einen bekannten Namen zu entdecken und neidisch zu werden.

    Auch Ranes Briefe lagen auf dem Tisch, offenbar hatte ich sie während der Nacht erneut gelesen. Er bestritt so konsequent, seinen Vater erschlagen zu haben, dass ich ihm glaubte. Dunkel erinnerte ich mich, am Abend um ihn geweint zu haben. Mir ging nicht aus dem Sinn, wie er mich vor dem Aufbruch in die Kaserne an sich gedrückt hatte, als wollte er bei mir Schutz suchen. Obwohl ich die Szene nur aus Ranes Beschreibung kannte, konnte ich sie mir bildlich vorstellen, mir eine Erinnerung daraus zimmern.
    Die pazifistische Einstellung, die ich erwartet hatte, war in den Briefen aus der Armeezeit nicht zu finden. Rane hatte sich einfach nicht dem streng geregelten Tagesablauf und der militärischen Disziplin unterordnen können. Im Rausch hatte ich auch das als Sehnsucht nach Freiheit und als Rebellion gedeutet, doch nun kamen mir Zweifel. Es war wohl üblich, Kriminelle vorzeitig aus dem Wehrdienst zu entlassen.
    Ich schüttete den Rest des Kaffees in den Ausguss, denn ich brachte ihn einfach nicht herunter. Auch der Joghurt konnte gegen meine Bauchschmerzen und mein Sodbrennen nichts ausrichten. Die Vorstellung, am frühen Abend zur Gesangsstunde zu gehen und vorher noch zu üben, schien mir völlig utopisch. Müde schleppte ich mich wieder ins Bett. Als auf dem Hof Teppiche geklopft wurden, kam es mir vor, als ob sich die Teppichstange direkt neben meinem Bett befand. Dann wurde in der Wohnung unter mir der Staubsauger eingeschaltet. Das Rentnerehepaar, das dort wohnte, saugte täglich, an den schlimmsten Tagen bereits um acht Uhr morgens. Ich tastete den Nachttisch nach den Ohrstöpseln ab, fand sie aber nicht.
    Wahrscheinlich hatte ich sie in der Nacht versehentlich unters Bett befördert.
    Heute Abend würde ich keinen Tropfen anrühren und morgen einen langen Spaziergang machen oder Rad fahren. Vielleicht konnte ich mich auch zur Tanzstunde anmelden, dachte ich träge. In meiner Bulimiezeit hatte ich Afrodance und Aerobic gemacht, danach aber alles aufgegeben.
    Das Nachthemd fühlte sich auf meiner Haut unangenehm an, doch als ich es auszog, spürte ich die Fettschicht auf meinem Bauch und das Gewicht meiner hängenden Brüste allzu deutlich.
    Ich versuchte, an angenehme Dinge zu denken, doch da kamen auch schon die Stimmen.
    »Vielleicht solltest du erst mal lernen, Gitarre zu spielen …«
    »Die Songs sind zum Teil gar nicht übel, aber sie müssen mit Charisma vorgetragen werden …«
    »Dickmamsell, Fettschwein …«
    »Ist dein Vater jemals wieder zurückgekommen?«
    »Du kannst nichts kannst nichts kannst nichts …«
    Dieses eine Mal war mir das Schrillen der Türklingel willkommen, denn es brachte die Stimmen zum Schweigen. Ich zog Nachthemd und Bademantel über. Es klingelte erneut. Misstrauisch spähte ich durch den Türspion. In letzter Zeit schwärmten Zeugen Jehovas und Mormonen aus wie die Zugvögel. Vielleicht meinten sie, in der herbstlichen Dunkelheit spürten die Menschen die Nähe des Todes und ließen sich leichter bekehren.
    Vor der Tür stand Sara, außer Atem und mit wirren Haaren.
    Um den Hals trug sie ein dickes Wolltuch, die Beine steckten in schweren Stiefeln, Beinlingen und Leggings. Ihr Zwiebel-Look aus den achtziger Jahren kam sicher bald wieder in Mode.
    »Hallo, Katja«, rief sie fröhlich. Sie hielt zwei orange Gerbera in der Hand, deren grelle Farbe mir schmerzhaft in die Augen stach. »Schön, dass du zu Hause bist. Hier, die Blumen sind für dich.«
    »Danke.«
    »Ein bisschen Aufmunterung für die nebligen Herbsttage. Darf ich

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