Lehtolainen, Leena
zu tun hatte?
Der Ahorn am Straßenrand war so prachtvoll, wie es ein herbstlich bunter Ahorn nur sein kann, und ich war mir erneut meiner Unfähigkeit bewusst, irgendetwas über ihn zu sagen, was nicht schon viel zu oft gesagt worden war. Die Kulturreferentin erwartete mich an der Busstation. Warum müssen diese profes-sionellen Kulturfrauen immer einen Pagenkopf, riesige Schmuckstücke und bunte, weite Kleider tragen? Dieses spezielle Exemplar bedankte sich wortreich für meine Bereitschaft, so kurzfristig einzuspringen, und sagte, die Romanautorin und der Lyriker seien im Wagen des Letzteren gekommen.
Wir fuhren zur Bibliothek, wo die anderen bereits beim Kaffee saßen. Nun bereute ich meine Zusage noch mehr als zuvor. Der Dichter war ein pickliger, schmächtiger Jüngling, der sich alle Mühe gab, wie ein Rockmusiker auszusehen. Die Autorin hatte riesige Brüste, eine ausladende Frisur und ein lautes Lachen.
Nach dem Kaffee begaben wir uns in das Auditorium der Bibliothek, wo etwa fünfzig Menschen saßen, vorwiegend Frauen. Sie blickten uns erwartungsvoll entgegen, doch ich hörte einen leisen Seufzer der Enttäuschung, als die Kulturreferentin erklärte, der berühmtere Schriftsteller habe nicht kommen können.
»Aber an seiner Stelle haben wir den renommierten Prosaisten Veikko Liimatainen zu Gast, einen Meister in der Schilderung der männlichen Gedankenwelt und einen Virtuosen der minima-listischen Sprache«, sagte sie tröstend, und das Publikum applaudierte höflich. Ich bekam Kopfschmerzen.
Wenn ich irgendwelche Kollegen hasse, dann sind es beherzte Romanautorinnen und mit Fremdwörtern um sich werfende Intellektuelle. Nun saß ich mit je einem Exemplar beider Sorten vor dem Publikum und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie angewidert ich war. Ich wusste, dass ich diese Folter verdient hatte, weil ich mich durch eine kleine Schmeichelei hatte überreden lassen. Der Dichterjüngling sezierte seine Gedichte mit Begriffen, die er vermutlich selbst nicht verstand, und die Autorin schwatzte frisch und munter über sanfte Werte und über die Notwendigkeit, einander zu lieben. Ich antwortete einsilbig und nur dann, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Es interessierte mich nicht, meine Texte zu erklären. Wenn die Leute sie ohne Erklärung nicht begriffen, dann eben nicht!
Die Kulturreferentin versuchte eine Art Frauen-Männer-Debatte zu provozieren, doch die Autorin erklärte forsch, sie habe Männer sehr gern, und der Lyriker sagte dasselbe über die Frauen. Ich schwieg. Dann durfte das Publikum Fragen stellen; mich ließ es zu meiner Zufriedenheit lange in Ruhe. Schließlich erhob sich ein Mann, den ich dem Aussehen nach für einen pensionierten Religionslehrer hielt, und sagte:
»Jeder Schriftsteller hat ein inneres Trauma, das ihn zum Schreiben treibt. Meine Frage an Veikko Liimatainen: Was ist Ihr inneres Trauma? Ich war mit Ihrem Vater bei der Armee, und ich habe auch an seiner Beerdigung teilgenommen. Ist es dieses fast fünfundzwanzig Jahre zurückliegende Ereignis, das Sie dazu treibt, Ihre Bücher zu verfassen?«
Ich sah den alten Mann an, seine neugierigen, triefenden Augen, in denen die Bereitschaft brannte, mich zu verstehen, und sehnte mich in die nächste Kneipe.
»Der Tod meines Vaters hat bei mir kein Trauma ausgelöst«, begann ich. »Überhaupt halte ich nichts von der verbreiteten Vorstellung, jeder Schriftsteller sei ein sensibles Wesen, das …«
NEUN
Sara
… bei der kleinsten Berührung zerbricht. Ich bin empfindsam wie ein Schmetterlingsflügel, selbst von einer Liebkosung werde ich wund. Ich weiß, dass ich zu heftig auf die Grausamkeit der Welt reagiere, aber ich kann nicht anders.
Ich habe das Inserat in der Zeitung gesehen: »Wie ich nach einer Tragödie wieder ein heiler Mensch geworden bin. Wir suchen Betroffene für einen Dokumentarfilm über Menschen, die mit schweren Schicksalsschlägen fertiggeworden sind.«
Gütiger Gott, das war wie auf mich zugeschnitten! Ich habe Schreckliches erlebt und bin doch über alles hinweggekommen!
Ich rief sofort an, um einen Aufnahmetermin zu vereinbaren.
»Hatten Sie einen Unfall oder eine schwere Krankheit?«, fragte eine schneidende Frauenstimme.
»Ach, wenn Sie wüssten! Mir ist alles Mögliche passiert. Mein Bruder hat meinen Vater und später sich selbst umgebracht, und nun ist meine Mutter an Krebs gestorben, und ich bin Vollwaise.
Wieder und wieder bin ich betrogen und verlassen worden, aber ich habe nie
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