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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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aufgegeben«, sagte ich tapfer, denn sicher wurden für die Sendung tapfere Menschen gesucht.
    »Wir suchen für unser Programm speziell Opfer von Unfällen und schweren Krankheiten.«
    »Ich habe an Anorexie und Bulimie gelitten, bin alkohol- und tablettensüchtig gewesen! Und dass mein Bruder meinen Vater getötet hat, ist das etwa kein Unglück?«
    Das stopfte dem pingeligen Weib den Mund. Sie sagte, ich solle in einer Woche in irgendein Studio in Kumpula kommen.
    »Haben Sie irgendwelche Wünsche, wie ich mich kleiden soll?
    Geschminkt und frisiert werde ich sicher im Studio. Hoffentlich machen sie mich da nicht zu tantenhaft zurecht, damals bei
    ›Herzblatt‹ haben sie zu viel Haarspray benutzt.«
    »Um das Make-up kümmert sich jeder selbst. Wir gehen sehr zurückhaltend vor«, antwortete die Frau, die sich als Jenna vorgestellt hatte. Jenna klang nach dem Vornamen einer jungen Frau, noch jünger als Katja. Was weiß eine solche Göre schon von den Realitäten des Lebens?
    Nach dem Anschlag in New York war ich tagelang völlig verstört gewesen. Ich war zum Gebet in den Dom gegangen und hatte bei der Telefonseelsorge angerufen. Als wäre einer meiner Angehörigen bei dem Unglück ums Leben gekommen oder als wäre ich selbst in den lodernden Türmen gewesen und verbrannt. Die Albträume werden mich sicher nie mehr loslassen.
    In einem von ihnen stehe ich mitten im Flammenmeer und versuche Rane herauszuziehen, aber er kann nicht loskommen, sondern zieht auch mich ins Feuer. Rane schmort in der Hölle, dahin kommen Selbstmörder nämlich, und er will mich zu sich holen. Aber das lasse ich nicht zu!
    Ich habe nicht die Kraft gehabt, mir nach der Kündigung im Reformhaus eine neue Stelle zu suchen. Einari hat mir fünftau-send geliehen, ich zahle sie zurück, wenn ich mein Erbe bekomme. Lange kann es nicht mehr dauern. Gesegnet sei Mutter, und gesegnet sei das Schicksal, es ist, als hätten beide dafür gesorgt, dass ich eine Weile nicht zu arbeiten brauche, sondern mich auf meine Entwicklung und mein geistiges Wachstum konzentrieren kann.
    Ich habe in meinen alten Tagebüchern gelesen, um meine Lebensgeschichte bei den Aufnahmen möglichst gut erzählen zu können. Mein Leben bietet Stoff genug für einen mehrstündigen Dokumentarfilm und für mindestens dreibändige Memoiren.
    Natürlich ist es seltsam, dass eine Vierzigjährige ihre Memoiren schreibt, zumal ich mich nicht als Vierzigjährige empfinde, sondern als Teenager. Ich sehe mindestens zehn Jahre jünger aus, als ich bin, im Gegensatz zu Sirkka, die schon als Matrone auf die Welt gekommen ist.
    Sirkka hat es sich selbst zuzuschreiben, dass zuerst Eero sie verlassen hat und später Mauri. Gleich nach Katjas Geburt wurde sie zum Heimchen am Herd, sie nahm immer mehr zu und lief mit Lockenwicklern auf dem Kopf durch die Wohnung.
    Eero dagegen tourte mit seiner Band durchs Land und lernte schöne Frauen kennen, außerdem war er sowieso nicht für die Ehe geschaffen. Er war, wie ich, eine freie Seele. Und das war Mauri auch.
    Es wundert mich, dass Mauri eine Frau wie Sirkka überhaupt wahrgenommen hat. Sie haben sich an ihrem Arbeitsplatz kennengelernt, in der Buchhandlung. Mauri wurde mit seiner Scheidung nicht fertig und suchte deshalb therapeutische Literatur. In der Bibliothek waren alle Lebenshilfen ausgeliehen, außerdem hatte er Geld genug, sich Bücher zu kaufen. Er war nämlich Versicherungsmathematiker. Doch im Grunde seines Herzens war er ein Poet.
    Sirkka hatte ihn offenbar gut bedient, denn Mauri kam ein zweites, dann ein drittes Mal und lud Sirkka schließlich ins Theater ein, zu Ibsens »Nora«. Sicher wäre Sirkka gern zu Hause vor dem Fernseher hocken geblieben, aber vermutlich wollte sie ihre letzte Chance nicht vergeben. Sie war ja schon über vierzig, und in dem Alter findet eine Frau so leicht keinen Mann mehr.
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als Mutter mir erzählte, dass Sirkka seit Monaten einen festen Freund hat. Mir hatte sie nichts davon gesagt! Ich habe sie sofort angerufen und gefragt, wo sie den Mann aufgetrieben hat. Natürlich wollte ich ihn kennenlernen, den Freund meiner einzigen Schwester.
    Sirkka wollte sich absolut nicht einladen lassen, sie behauptete, Mauri und sie seien zu beschäftigt. Ich fragte, ob sie sich für mich genierte oder für ihren Mauri, und daraufhin war sie auch noch eingeschnappt! Damals wohnte ich in einer WG in einem alten Holzhaus in Käpylä, und Sirkka meinte wahrscheinlich, das sei nicht die

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