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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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richtige Umgebung für einen Versicherungsmathematiker. Dabei war Mauri durchaus kein Spießbürger.
    »Komm lieber zu mir, dann kannst du dich mal satt essen«, stichelte Sirkka, und ich dachte, du mit deinem Essen. Natürlich wollte sie mich mästen, damit ich so unförmig wurde wie sie.
    Sie hat mir nie verziehen, dass ich einmal sagte, ich sei als Kind nicht richtig satt geworden, weil meine Geschwister mir alles wegschnappten. Aus Katjas Bulimie sollte sie eigentlich gelernt haben, dass man andere nicht zum Essen drängen darf.
    Ich machte mich besonders hübsch zurecht: rosenroter Fran-senrock, transparente weiße Spitzenbluse und einen mit Rosen besteckten Haarreif. Auch mein Parfum duftete nach Rosen. Für Sirkka kaufte ich einen Strauß gelbe Rosen. Ich finde es herrlich, zur Person passende Blumen zu verschenken. Sirkka ist banal wie eine gelbe Rose. Mauri bemühte sich, höflich zu sein, und trällerte »Gelbe Rose von Texas«. In Wahrheit sang er das Lied natürlich für mich.
    Anfangs fand ich ihn ein bisschen langweilig. Er redete über Eishockey und Politik, er freute sich über Ahtisaaris Sieg bei der Präsidentschaftswahl, die gerade stattgefunden hatte. Ich hatte natürlich für die einzige Frau unter den Kandidaten gestimmt und tagelang geweint, weil Elisabeth Rehn nicht gewonnen hatte. Unser Volk war noch zu feige. Doch ich wollte lieber über Kunst sprechen und fragte Mauri, welche Art von Theater er mochte. Ich liebe das Theater und diskutierte voller Begeisterung darüber. Und wenn ich mich für etwas begeistere, glühe ich wie Feuer. Das hat schon viele Männer abgeschreckt. Manche können eben keine kreativen Frauen ertragen, sie ziehen demütige Fußabstreifer vor.
    Mauri fand es unreif und dumm von Nora, ihre Familie zu verlassen, er meinte, sie hätte sich um ihre Kinder kümmern müssen. Sirkka stimmte ihm vorsichtig zu, die komische Heilige. Sie lebt nur für ihre Kinder, dabei sind die längst erwachsen.
    »Du liebe Güte, begreift ihr das denn nicht? Nora konnte doch nicht ihr Leben lang im Käfig bleiben! Sie hatte ihren eigenen Weg vor sich. Wenn die Kunst ruft, muss man gehen!«
    »Nora hatte doch nichts mit Kunst …«, setzte Sirkka zu einer Entgegnung an.
    »Aber sie musste ihr eigenes Leben führen! Das Stück gilt heute noch als kühn, denkt nur daran, wie man Frauen wie mich, die nicht Mutter werden wollen, immer noch abstempelt!«
    »Mauri und ich haben erlebt, wie es ist, verlassen zu werden«, schnaubte Sirkka. Mit dieser Bemerkung wollte sie mich offensichtlich aus dem Zauberkreis ausschließen, den Mauri und sie bildeten, doch das ließ ich nicht mit mir machen. Sirkka kannte außer »Nora« keine Stücke von Ibsen, aber Mauri hatte einige gesehen, und so unterhielten wir uns über Ibsen, während Sirkka die Teller in den Geschirrspüler räumte, die Lasagneform spülte und Kaffee kochte. Gegen Mitternacht deutete sie an, der letzte Bus fahre bald.
    »Schön, dass ich Gesellschaft habe, ich hasse es nämlich, allein im Lumpensammler zu fahren«, lachte ich.
    »Gesellschaft?« Mauri sah mich fragend an.
    »Mauri bleibt bei mir«, erklärte Sirkka.
    »Ach so … Könnte mich einer von euch wenigstens zur Haltestelle begleiten? Ich hasse es, im Dunkeln auf den Bus zu warten.«
    Mauri brachte mich hin. Da der Bus ein wenig Verspätung hatte, konnten wir unsere Unterhaltung über die Bühnenkunst fortsetzen. Mauri war so wundervoll, dass ich ihn zum Abschied einfach küssen musste, ich konnte mich nicht daran hindern. Ich hatte mich in ihn verliebt, und Liebe lässt sich nicht in Fesseln legen. Für ein Naturkind wie mich ist sie ein gewaltiges, alles verschlingendes Gefühl, vor dem man kapitulieren muss.
    Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Nachdem ich mich zwei Tage gequält hatte, beschloss ich zu handeln. Ich rief bei der Versicherungsgesellschaft an, wo Mauri arbeitete, und schlug ein gemeinsames Mittagessen vor, ohne zu sagen, warum ich ihn sehen wollte. Er war zwar erstaunt, aber bereit, sich noch am selben Tag im »Raffaello« mit mir zu treffen. Sobald er aufgelegt hatte, reservierte ich einen Zweiertisch in einer lauschigen Nische. Ich war frühzeitig im Restaurant und bestellte eine Flasche Sekt gegen meine Nervosität. Mauri war ein Gentleman, sicher würde er die Rechnung übernehmen.
    Bei Sirkka hatte ich Mauri in Cordhose und Pullover gesehen, doch nun trug er einen korrekten Anzug, in dem er einerseits distanziert wirkte, andererseits einflussreich und

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