Lehtolainen, Leena
du denn darauf? Nein, Sara, nein …«
Er trat ans Fenster, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte.
»Bevor du heute gekommen bist, habe ich beschlossen, dass Schluss sein muss. Sieh mal, ich habe mich in Sirkka verliebt.
Du bist wundervoll … Aber ich kann euch nicht beide haben, und Sirkka war zuerst da. Wenn du über diese paar Nächte Stillschweigen bewahrst, dann können Sirkka und ich …«
Ich begriff nicht gleich, was er zu sagen versuchte. Als es mir klar wurde, verlor ich die Fassung. So sehr war ich noch nie gedemütigt worden.
»Ohne dich kann ich nicht leben!«
»Dann kannst du es eben nicht! Deine Selbstmorddrohungen ziehen nicht mehr, Sara. Es war die größte Dummheit meines Lebens, mich von dir erpressen zu lassen. Sei so gut und geh jetzt.«
Ich sammelte meine Kleider auf und ging ins Bad. Dort suchte ich nach einem scharfen Gegenstand, mit dem ich mir die Adern aufschneiden konnte. Leider rasierte Mauri sich elektrisch.
Sekundenlang überlegte ich, den Rasierer ins gefüllte Waschbe-cken zu werfen und die Hand ins Wasser zu halten, doch dabei wäre ich mit Sicherheit umgekommen. Die Nagelschere war zu stumpf. Nachdenklich sah ich mir den Inhalt des Medizin-schranks an. Kopfschmerztabletten, ein Mittel gegen Sodbrennen, Nasentropfen … Mauri nahm weder Schlaftabletten noch starke Schmerzmittel, von seinen Medikamenten wäre mir höchstens übel geworden. Die Wohnung lag im zweiten Stock.
Sollte ich vom Balkon springen? Oder doch lieber das Brotmes-ser nehmen?
Als ich aus dem Bad kam, war Mauri fertig angezogen und taxierte mich wie ein Boxer seinen Gegner.
»Ich hab dir ein Taxi bestellt, hier ist das Geld für die Fahrt.
Sara, Liebes, sei mir nicht böse. Es wäre ja doch nichts daraus geworden. Ich bin viel zu ruhig und langweilig für eine heißblü-
tige Seele wie dich.«
Ich warf ihm das Geld ins Gesicht. »Hältst du mich für eine Hure? So lasse ich mich nicht behandeln! Du hast mir das Herz gebrochen!«
Ich schlug die Tür so fest hinter mir zu, dass es im ganzen Haus zu hören war, lief die Treppe hinunter und knallte auch die Haustür ins Schloss. Dem Taxifahrer, der bereits wartete, nannte ich Sirkkas Adresse in Matinkylä. Da ich kein Geld hatte, musste ich meine Sachen als Pfand im Wagen lassen, während ich nach oben lief, um die sechzig Mark zu holen. Handys gab es damals noch nicht.
Kaitsu war zu Hause, und ich schickte ihn nach unten, damit er den Fahrer bezahlte. Dann brach ich in Tränen aus.
»Komm, setz dich und erzähl mir, was passiert ist«, versuchte Sirkka mich zu beruhigen. »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
»Ich könnte jetzt etwas Stärkeres vertragen … Danke, Kaitsu, du bist ein Schatz«, sagte ich zu meinem Neffen, der mir meine Sachen brachte und sofort in seinem Zimmer verschwand.
Männer vertragen keine Tränen, die Feiglinge! »Hör mal, Sirkka, ich halte es nicht mehr aus, ich muss es dir erzählen.
Mauri und ich haben ein Verhältnis.«
Sirkka wurde blass, die Kaffeekanne zitterte in ihrer Hand.
»Ein Verhältnis?«, fragte sie, als hätte sie das Wort nie gehört.
»Ja. Wir haben schon oft miteinander geschlafen. Ich komme gerade von ihm, sicher ist sein Samen noch in mir …«
Mehr konnte ich nicht sagen, denn Sirkka goss mir den Inhalt der Kaffeekanne über den Kopf. Ich schrie gellend auf. Es klingelte, dann wurde die Tür aufgeschlossen. Mauri hatte einen Schlüssel zu Sirkkas Wohnung.
Sirkka beendete die Beziehung sofort, obwohl Mauri sie offenbar um Verzeihung bat und versuchte, sie zurückzugewin-nen. Auch Mutter ergriff für sie Partei, als wären die beiden verheiratet gewesen und ich hätte ihre Ehe zerstört. Ich rief einige Male bei Mauri an, doch er meldete sich nicht, und als ich es nach einer Weile wieder versuchte, hörte ich, dass er eine neue, geheime Telefonnummer hatte. Sirkka und ich hatten drei Monate keinerlei Kontakt zueinander, aber als bei Mutter Krebs festgestellt wurde, begegneten wir uns gezwungenermaßen in der Klinik.
O Gott, Mutters Krebs ist gerade damals ausgebrochen! Kann es sein, dass unser Streit ihn ausgelöst hat?
Um die gleiche Zeit passierte auch sonst allerhand. Katjas Freund ging zum Zivildienst und verließ sie. Ein halbes Jahr später war Katja ein Wrack, sie trank wie ein Loch, aß und erbrach sich, aß und erbrach sich. Mir erzählte natürlich niemand etwas, denn sie wollten mich aus dem Familienkreis ausschließen, aber ich sammelte auf eigene Faust Informationen.
Ich hätte
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