Lehtolainen, Leena
attraktiv.
Nachdem wir bestellt hatten, eröffnete er das Gespräch. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen: Er glaubte, es ginge um Sirkka!
»Ich verstehe durchaus, dass du dich fragst, ob ich Sirkka gut behandeln werde. Nach dem schweren Leben, das sie bisher gehabt hat, ist es ganz natürlich, dass ihre Angehörigen besorgt sind«, sagte er freundlich. »Ich … mag deine Schwester sehr gern. Mehr wage ich zurzeit noch nicht zu sagen.«
»Sirkka kommt schon zurecht. Sie ist stark wie ein Brecheisen.
Aber ich, Mauri, ich! Ich bin verrückt nach dir!«
Er biss vor Überraschung auf seine Gabel.
»Wir sind uns doch erst einmal begegnet«, stammelte er schließlich.
»Das eine Mal hat mich davon überzeugt, dass du der Richtige für mich bist. So etwas weiß man sofort.«
Ich hatte eine Menge Calamari und Krabben verspeist, bevor Mauri weiterredete. Er aß nichts, sondern leerte sein Sektglas in einem Zug und füllte es wieder nach.
»Mauri, Lieber, mit dir kann ich reden. Debattieren. Ich finde Diskussionen erotisch.«
»Aber Sirkka und ich haben gerade angefangen, eine warme, vertrauensvolle Beziehung aufzubauen …«
Da verlor ich die Nerven. Ich warf mein Besteck auf den Tisch.
»Sirkka, Sirkka! Mein Leben lang bin ich an ihr gemessen worden. Zuerst von unserer Mutter: ›Sirkka konnte schon mit acht Kartoffeln kochen, und du hast es mit vierzehn immer noch nicht gelernt!‹ Dann in der Schule: ›Deine Schwester hat ihre Hausaufgaben immer gemacht, sie war so brav und gewissenhaft, aber du gibst dir überhaupt keine Mühe!‹ Und in Pielavesi erkundigen sich die Weiber aus der Nachbarschaft, wieso ich immer noch keine Kinder hätte, wo doch Sirkka … Ich habe es satt, hörst du? Lauf doch zu deiner Sirkka!«
Ich stürmte hinaus und rannte weinend die Aleksanterinkatu entlang. Wie konnte Mauri so blind sein?
Zum Glück dauerte seine Blindheit nicht lange. Schon am nächsten Tag rief er an.
»Sara, es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe, das war nicht meine Absicht. Können wir uns noch einmal treffen und die Sache bereinigen? Am Wochenende fahren Sirkka und ich nach Pielavesi, aber danach … Am Montagabend?«
Ich antwortete, auf keinen Fall wolle ich ihn in einem Restaurant oder überhaupt irgendwo in der Öffentlichkeit treffen, ich würde mich genieren, falls ich wieder weinen müsste. Daraufhin schlug Mauri vor, ich solle zu ihm nach Tapiola kommen. Am Wochenende litt ich Höllenqualen, denn ich wusste, dass Mauri vor Mutter und ihren Nachbarn als künftiger Schwiegersohn auftreten würde. Mutter rief natürlich an, sobald Mauri und Sirkka am Sonntagnachmittag abgefahren waren. Sie lobte Mauri über den grünen Klee.
»Du glaubst nicht, wie höflich er war, ein richtiger Gentleman.
Sogar den Stuhl hat er mir hingerückt. Ich bin so glücklich für Sirkka. Hast du ihn schon kennengelernt?«
Ich betrachtete es als gutes Zeichen, dass Mauri ihr nichts von unserem gemeinsamen Mittagessen gesagt hatte. Das bevorstehende Treffen machte mich wahnsinnig nervös. Ich überlegte die ganze Nacht, was ich anziehen und was ich sagen würde, obwohl mein Herz mir zuflüsterte, ich solle ganz natürlich sein und auf meine innere Stimme hören. Da ich zu einer so ein-schneidenden Begegnung natürlich nicht mit dem Bus fahren konnte, gab ich mein letztes Geld für ein Taxi aus.
Wir redeten stundenlang. Die Scheidung hatte Mauris Selbstbewusstsein völlig zerstört, doch ich richtete ihn wieder auf, besser, als Sirkka es je vermocht hätte. Irgendwann landeten wir im Bett, und ich brachte seine Schuldgefühle mit meinen Küssen zum Schweigen.
»Liebe kann nicht falsch sein, falsch wäre nur, ihre Erfüllung zu verhindern«, beruhigte ich ihn, als Mauri sich in Vorwürfen erging, nachdem er gekommen war. Ich verbrachte die Nacht bei ihm und überlegte beim Anblick des zerknüllten Lakens, ob Sirkka wohl jemals einen Mann so oft und in so vielen Stellungen zum Höhepunkt gebracht hatte.
Am nächsten Morgen war Mauri noch immer entsetzt. Außerdem hatte er eine wichtige Besprechung, zu der er nicht zu spät kommen durfte. Ich komme morgens schwer aus dem Bett, daher bat ich ihn, noch eine Weile in seiner Wohnung bleiben und mich ausschlafen zu dürfen. Der Gedanke schien ihm seltsamerweise nicht zu gefallen, doch er gab schließlich nach.
Es war seiner Zweizimmerwohnung anzusehen, dass er sie nach der Scheidung in aller Eile eingerichtet hatte. Es gab keine Nippesfiguren, keine Spitzendecken und keine
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