Lehtolainen, Leena
eine gute Privatdetektivin abgegeben. Wenn ich nicht so ein empfindsames Gemüt hätte, wäre das der richtige Beruf für mich.
Ich wusste vieles, wovon die anderen keine Ahnung hatten.
Vielleicht werde ich Katja eines Tages erzählen, was ich über ihren Karri in Erfahrung gebracht habe, und Sirkka werde ich Eeros Adresse in Göteborg geben. Sie hätte ihn wer weiß wie oft wiedersehen können, aber sie wollte nicht. Sie ist kalt und selbstgerecht. Ich dagegen gebe so viel Wärme an meine Mitmenschen ab, dass ich manchmal von innen heraus friere, als hätte man mich in einen Eiskeller gesperrt.
Wahrhaftig, ich konnte den Dokumentarfilmern viel erzählen.
Es ist erstaunlich, dass ich nach all diesen hässlichen Vorfällen überhaupt noch fähig bin, die Schönheit der Welt wahrzuneh-men. Ich bewundere mich selbst für meine Empfindsamkeit und Stärke. Ich habe der Welt so viel zu geben. Ein Gedicht formt sich, ich schreibe es auf, um es in dem Dokumentarfilm deklamieren zu können. Ich kann mir schon jetzt vorstellen, was die Zeitungen über mich schreiben werden. Sicher werde ich viele Interviews geben müssen. Die Welt ist voll von eitlen Schicki-mickis, die vom wahren Leben …
ZEHN
Katja
… keinen blassen Schimmer haben. Wie sollte ich wissen, was Kaitsu empfand, oder Mutter, wenn ich nur eine vage Ahnung hatte, wer ich selbst war?
Ich rief beim Krisendienst der Anonymen Alkoholiker an.
Dem älteren Mann, der sich meldete, wollte ich nichts über mich verraten. Ich war sicher, dass er meine Telefonnummer auf seiner Anzeige sehen konnte und mich aufspüren würde. Und dann klingelt bald jemand an meiner Tür oder spioniert mir nach, wenn ich das nächste Mal ins Schnapsgeschäft gehe.
Aber da gehe ich eben nicht mehr hin. Diesmal höre ich wirklich mit dem Trinken und dem übermäßigen Essen auf. In Wahrheit lauert mir auch kein Anonymer Alkoholiker auf, die unterliegen ja alle der Schweigepflicht. Der Mann kam einfach aus einer anderen Welt als ich, wahrscheinlich war er ein ungebildeter Penner, der sich aus der Gosse hochgerappelt hat.
Ich schaffe es aus eigener Kraft.
In letzter Zeit war ich so superfleißig gewesen, dass ich eine Belohnung verdient hätte. Zum Beispiel ein paar Sidecars, in der Armeleuteversion: Branntwein und Triple Sec mit Zitronensaft-konzentrat. Die Aufzeichnungen für das Seminar waren praktisch fertig, und ich hatte es endlich geschafft, meinen Fragebogen an die Musiker zu schicken, über die ich meine Magisterarbeit schrieb. Ich hatte tagelang darüber gebrütet.
Meine Fragen kamen mir dumm und bedeutungslos vor, doch nun waren die Briefe im Kasten. Ich hatte sie an die Plattenfirmen addressiert, die sie hoffentlich an die Empfänger weiterleiten würden. Wenn keiner der Angeschriebenen antwortete, konnte ich es auch nicht ändern.
Am glühendsten erwartete ich die Antwort von Kode Salama, aber wenn überhaupt jemand von seiner Band antwortete, war es vermutlich der Sologitarrist Ari Haarala. Kode war zwar die musikalische Leitfigur gewesen, aber er würde sich bestimmt nicht die Mühe machen, die naiven Fragen einer angehenden Musikwissenschaftlerin zu beantworten. Blamabel genug, dass ich immer noch an meiner Magisterarbeit saß. Viele, die zur gleichen Zeit mit dem Studium begonnen hatten, waren inzwischen längst promoviert, hatten eine Familie gegründet und ein Reihenhaus in Tapiola gekauft.
Es schien mir unmöglich und idiotisch, zum Beispiel den Übergang von a-Moll zu C-Dur in Songs wie »Glückliche Familie« oder »Lieber würde ich weinen« von der Gruppe Ne Luumäet mit Worten darzustellen. Ich konnte alles Mögliche anführen, konnte die Songs und die Gefühle, die sie auslösten, beschreiben und auf diverse musikpsychologische Quellen verweisen, doch eine innere Stimme sagte mir, Musik müsse man hören, nicht analysieren. Rockmusik und akademische Forschung lagen zu weit auseinander. Warum hatte ich kein idiotensicheres Thema gewählt, zum Beispiel die Beziehung zwischen Text und Musik in den Sololiedern von Toivo Kuula?
Der Komponist war tot, die Dichter, deren Werke er vertont hatte, ebenfalls. Ich hätte mir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen brauchen, wie sie auf meine lächerlichen Fragen reagierten.
Warum versuchte ich überhaupt, Musik zu erforschen, statt selbst zu musizieren? Kaitsu machte offenbar auch keine Musik mehr. Am Schlagzeug war er nie ein Meister gewesen, aber auf Computermusik verstand er sich bestens. Wir hatten gelegentlich
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