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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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seinen Schichtplan, aber vielleicht schaffte ich es ja, nach Hause zu kommen, bevor er losfuhr.
    Auf dem Handy fand ich eine Kurznachricht von Katja vor:
    »Mutter, sag mir die Wahrheit, ist an der Inzestsache etwas dran?« Ich löschte den ekelhaften Satz und versuchte, Kaffee zu trinken. Nach einer Weile schickte ich ihr meine Antwort. Sie bestand aus einem einzigen Wort: »Nein.«
    Leila flüsterte der Reihe nach mit allen Kollegen, offenbar erzählte sie ihnen von der Sendung. Hoffentlich wurde sie nicht auch noch im Vormittagsprogramm wiederholt! Auf dem Heimweg stieg ich zwei Haltestellen zu früh aus, denn ich hatte nichts zu tragen und wollte frische Luft schnappen. Außerdem war ich noch nicht fähig, Kaitsu gegenüberzutreten.
    Als ich damals im Mordprozess aussagen musste, hatte ich mir brennend gewünscht, dass meine Kinder krank würden. Ich hatte sogar überlegt, ob Kaitsu sich erkälten würde, wenn ich ihn in nassen Sachen schlafen legte, oder ob Katja Bauchschmerzen bekäme, wenn ich Wasser aus einer Pfütze unter ihren Saft mischte. Es war Sommer, im Winter wäre es leichter gewesen, ihnen eine Erkältung zu verschaffen. Andererseits begannen Wunden in der Hitze schnell zu eitern, war das die Lösung?

    Doch ich brachte es nicht über mich, meinen Kindern Schaden zuzufügen. Ich gab sie bei Maija Kalmanlehto in Obhut und fuhr nach Kuopio. Mutter kam ganz in Schwarz, Veikko trug seine Uniform. Sara brauchte nicht auszusagen, weil sie minderjährig war und der Arzt ihr ein Attest geschrieben hatte.
    Ich hätte Rane beinahe nicht erkannt, obwohl er zum Glück keine Häftlingskleidung trug. Man hatte ihm die schönen Locken abgeschnitten, die Haare waren streng nach hinten gekämmt. Das Schlimmste waren die Augen in seinem verhärmten Gesicht. Ich konnte den Anblick nicht ertragen.
    Mutter und ich brauchten nur wenige Fragen zu beantworten, während Veikko genau erklären musste, wo er sich zur fraglichen Zeit aufgehalten hatte. Ich wusste, dass er unterwegs gewesen war, um Schwarzgebrannten zu besorgen, doch das verschwieg er. Wenn er will, kann er so gut lügen wie Sara.
    Ich erzählte alles so, wie ich es mir zurechtgelegt hatte. Man hat mich schon immer für gefühllos und hart gehalten. Im Zeugenstand sprach ich mit fester Stimme, log, wenn es nötig war, und gab mir Mühe, Mutter zu unterstützen. Rane erklärte, sie solle ihn nicht im Gefängnis besuchen. Mutter tat es trotzdem, aber nur einmal. Auch bei Ranes Beerdigung habe ich nicht geweint. Vermutlich wusste er diesmal, was er tat.
    Die Wohnung war leer, als ich nach Hause kam. Kaitsu hatte einen Zettel auf den Tisch gelegt, er sei nach Lauttasaari gefahren, um eine Einzimmerwohnung zu besichtigen. Ich öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Seine Trainingshose lag auf dem Fußboden – sollte ich sie aufheben? Doch dann würde er merken, dass ich in seinem Zimmer gewesen war. Also ließ ich sie liegen. Warum sollte er eigentlich nicht wissen, dass ich sein Zimmer betreten hatte? Immerhin legte ich ihm regelmäßig die gewaschenen und gebügelten Sachen in den Schrank. Außerdem war es meine Wohnung. Einerseits hoffte ich, Kaitsu würde bald ausziehen, andererseits schämte ich mich für meinen Wunsch.

    Bevor ich zum Einkaufen ging, machte ich mir ein Butterbrot.
    Plötzlich erinnerte ich mich an den Geschmack von Mutters Roggenbrot. Wir hatten einen Backofen zwischen Küche und Schlafkammer, der das ganze Haus bis hinauf in die Bodenkammer heizte. Mutter hatte immer zehn Brote auf einmal gebacken, meist samstags. Anschließend hatte sie dann noch das Hefegebäck für die ganze Woche in den Ofen geschoben. Ein solches Brot konnte man nirgends kaufen, es schmeckte genau richtig, nicht zu sauer und nicht zu salzig, war innen weich und außen knusprig. Ich hatte schon mit acht Jahren gelernt, Roggenbrot zu backen, so wie meine Mutter es von ihrer Mutter gelernt hatte. Großmutter hatte in den letzten Jahren ihres Lebens keine Zähne mehr gehabt und mir und meinen Brüdern die Kruste gegeben.
    Woher kamen diese friedvollen, glücklichen Erinnerungen?
    Ich erinnerte mich auch daran, wie Vater mir das Schwimmen beigebracht hatte. Er hatte mich gut festgehalten, aber dann seinen Griff so behutsam gelockert, dass ich es gar nicht merkte, als das Wasser mich trug und ich allein schwimmen konnte. Es war, als kämen die Erinnerungen hoch, um gegen Saras Geschichte zu protestieren, als wollte Vaters fröhliche, lachende Seite das Bild ausradieren, das Sara

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