Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
Vom Netzwerk:
ein Wort darüber verlor, könnte davon beleidigt gewesen sein, kam ich nicht. Es war meine Erinnerung, nicht ihre.
    Sie sahen mich beide, denn das Bett stand gegenüber der Tür.
    Die gehäkelte Tagesdecke lag auf dem Boden, die Bettdecke hatte Vater halb über sich gezogen. Es roch nach Schweiß, Schnaps und dem Maiglöckchenparfüm, das Sirkka und ich Mutter zu Weihnachten geschenkt hatten. Rane hatte sich an unserem Geschenk beteiligen wollen, doch das hatten wir abgelehnt, weil er seinen Anteil nicht bezahlen wollte. Daraufhin hatte er einen Bratenwender geschnitzt. An diesem Morgen, einem Schultag, war ich mit Kopfschmerzen und Bauchweh aufgewacht. Sirkka hatte mich nach unten geschickt, damit ich es Mutter sagte.
    Mutter sah mich als Erste, Vater hatte über seinem Keuchen nicht gehört, dass die Tür aufging. Als er mich sah, rief er:
    »Raus, verdammt nochmal!« Ich verzog mich. Im Buch begann ich an dieser Stelle zu lügen, ich ließ meinen Protagonisten barfuß aus dem Haus laufen und hohes Fieber bekommen. In Wahrheit ging ich zurück in die Dachkammer, wo wir damals alle schliefen, und sagte, Sirkka solle selbst hinuntergehen.
    Etwas später kam Mutter herauf und erklärte, da ich offensichtlich Fieber hätte, bräuchte ich nicht zur Schule.
    Vielleicht hat Mutter den Vorfall bald vergessen. Ich dagegen sehe immer noch ihre Augen vor mir, in denen der gleiche Ausdruck lag wie in den Augen einer Kuh beim Melken: Das passiert nicht zum ersten Mal, und es wird wieder geschehen. Es war Mutter, mit der Vater gevögelt hat, nicht Sirkka oder Sara.
    Ich war vierzehn, als wir von Sirkkas Schwangerschaft erfuhren. Rane war damals siebzehn und behauptete, es schon mit einer getrieben zu haben. Auch er konnte so überzeugend lügen, dass er selbst an seine Geschichten glaubte. Heute würde ich es natürlich vorziehen, seine Bettgeschichten für erlogen zu halten, aber ich kann die Möglichkeit nicht ausschließen, dass er doch die Wahrheit gesagt hat. Auf meine Einstellung zu meinem Bruder hatte das keinen Einfluss. Ich weiß nicht, ob es anders gekommen wäre, wenn ich geredet hätte, statt zu schweigen. Es ist ein Luxus, seine Fehler selbst gemacht zu haben, man kann sie keinem anderen vorwerfen.
    Mittlerweile herrscht bereits ständiger Frost, mein Morgenspa-ziergang führt mich über gefrorene Äcker. Die Stoppeln knirschen unter meinen Stiefeln, doch an geschützten Stellen ist der Boden noch so weich, dass ich einsinke. Ich mache mir einen Spaß daraus, das Eis auf den Pfützen zu zertreten. Das Herbstlaub war in diesem Jahr vorwiegend gelb, und da die Vogelbeerbäume auch keine Früchte trugen, hatte ich schon geglaubt, das bekannte Blutrot bliebe in diesem Herbst ganz aus.
    Heute kam es endlich, beim Sonnenaufgang. Ich sehe das Spiegelbild der roten Wolken früher als die Wolken selbst, betrachte beide abwechselnd und verwünsche Plato, wie so oft.
    Dass Paulus von Abbildern sprach und davon, sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen, verstehe ich ja noch, denn Paulus glaubte an den einen Gott und daran, dass die Menschen nach seinem Bild geschaffen seien. Nach dem Sonnenaufgang bewölkte sich der Himmel und nahm die graue Farbe an, die Schnee ankündigt. Doch es schneite nicht.
    Am nächsten Tag kam per Post die Nachricht, auf mein Konto seien hunderttausendfünf Mark und dreißig überwiesen worden, mein Anteil an Mutters Erbe. Auf meinem Haus liegen noch dreiundsechzigtausend Mark Schulden. Als ich es 1992 kaufte, bezahlte ich hundertfünfzigtausend dafür. Das war mitten in der Rezession, ich hatte von meinem ersten Stipendium fünfundzwanzigtausend gespart und war überzeugt, keinen Bankkredit zu bekommen. Doch die Bank hatte das Haus als Sicherheit akzeptiert.
    Ich erkundigte mich, was zu tun sei, um die restliche Kredit-summe auf einmal zurückzuzahlen, und erfuhr, ich müsse in der nächsten Filiale vorsprechen, die sich in Kirkkonummi befand.
    Wie ein braves Bäuerlein bereitete ich mich auf den Bankbesuch vor, indem ich meine sauberste Hose, ein passendes Jackett und ein Hemd mit steifem Kragen aus dem Schrank holte. Eine Krawatte wäre zu viel des Guten gewesen. Bevor ich Hemd und Hose bügelte, bestellte ich ein Taxi.
    Ich hatte nie zuvor so viel Geld besessen, meine Stimmung besserte sich merklich. Sie sank allerdings wieder, als ich fast eine Stunde warten musste, bis die Kreditberaterin Zeit für mich hatte, und dann erfuhr, dass ich die Angelegenheit auch per Internet hätte regeln können.

Weitere Kostenlose Bücher