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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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Sekt gönnen wie all die anderen, für die Alkohol kein Problem darstellte. Ich trug meinen besten Rock und eine tief ausgeschnittene dunkelrote Bluse, in der meine Brüste wie Melonen aussahen. Die Fingernägel hatte ich rot lackiert, obwohl ich wusste, dass Nagellack bei Gitaristinnen nur einen Abend hält. Ich war zwar der Meinung, dass man auch in Alltagskleidung in die Oper gehen konnte, doch es machte mir Spaß, mich in Schale zu werfen. Ich hatte Kleidung für die Oper und andere für Rockkonzerte, denn ich wollte mich nicht von den anderen unterscheiden. Klassische Stücke und Rockmusik gaben mir ganz ähnliche Erlebnisse, ich war fähig, sie zu analysieren und gleichzeitig einfach nur aufzunehmen und zu genießen. »Tosca« hatte ich bereits zweimal gesehen, außerdem besaß ich drei verschiedene Aufnahmen davon. Ich kannte lange Partien auswendig, doch die Musik bewegte mich noch immer. Wäre ich ein Tenor gewesen, hätte ich »E luce fan le stelle« nicht singen können, ohne in Tränen auszubrechen.
    Ich kaufte mir ein Programmheft und setzte mich auf meinen Platz in der Mitte des zweiten Rangs. Diesmal hatte ich Pech, denn vor mir saß eine Frau, die eine halbe Flasche Parfüm über sich ausgeschüttet hatte. Ich war nicht so unverschämt wie Veikko, der sich in entsprechenden Situationen demonstrativ die Nase zuhielt, fächelte aber heftig mit dem Programmheft.
    Auch Veikko, der sonst nur karge und schlichte Dinge mochte, hatte eine Schwäche für Opern. Wir hatten uns gelegentlich gemeinsam eine Aufführung angesehen, und obwohl er sich offensichtlich über meine heftige Reaktion auf die Musik amüsierte, hatte er mich nie kritisiert. Plötzlich wünschte ich mir, ihn oder jemand anderen neben mir zu haben, mit dem ich die Musik und die Stimmung teilen konnte.
    In der ersten Pause blieb ich auf meinem Platz, obwohl ich schon Lust auf einen Drink hatte. Die Arie »Vissi d’arte« im zweiten Akt trieb mir Tränen in die Augen, doch gleichzeitig spottete ich über mich selbst: Wollte ich mich etwa mit Floria Tosca vergleichen, die ihr Leben der Kunst und der Liebe widmete? Derartige Ausdrücke konnte man nur in Opern verwenden, für das wirkliche Leben waren sie zu bombastisch.
    Gewiss, ich hatte Karri geliebt, ich hätte einen Arm für ihn hergegeben, aber solche Gefühle wollte ich nie mehr haben.
    Außerdem wusste ich genau, wie es Tosca in der Oper ergehen würde.
    In der zweiten Pause lief ich hinunter an die Bar und holte mir ein Glas Sekt. Als ich wieder auf die Treppe zum zweiten Rang zuging, sah ich sie die Treppe herunterkommen.
    Der eine war Karri. Er war groß und dunkelhaarig, wie ich ihn in Erinnerung hatte, aber kräftiger. Zum eleganten Anzug mit Weste trug er eine rote Fliege. Statt der runden Brille hatte er nun ein kantiges, schweres Gestell nach der neuesten Mode auf.

    Die vertrauten braunen Augen schweiften suchend über die Menge. Als er mich sah, lächelte er vorsichtig und streifte dann den Arm seines Begleiters.
    Der andere Mann war ähnlich gekleidet wie Karri, bis hin zur Brille. Wie gelähmt blieb ich stehen, während die beiden auf mich zukamen. Ich hörte nur noch ihre Schritte; das Stimmengewirr und das Klirren der Gläser nahm ich nicht mehr wahr.
    »Hallo, Katja! Wir haben uns ewig nicht gesehen!«
    Karri fasste mich an den Schultern und sah mir in die Augen, als spielte er eine Opernszene. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er zum Zivildienst gegangen war. Ein paar Jahre später hatte er mir eine Karte geschickt: Er sei nach Turku gezogen, um sein Studium dort fortzusetzen. Ich war erleichtert gewesen, weil ich nicht länger zu fürchten brauchte, ihm in Helsinki an der Universität zu begegnen.
    »Das ist Samuli. Ich habe ihm viel von dir erzählt.«
    Samuli gab mir die Hand und lächelte höflich.
    »Wie geht es dir?«
    »Danke, gut. Ich schließe im Frühjahr mein Studium ab, die Magisterarbeit ist fast fertig. Und dir?«
    »Ich schreibe an meiner Dissertation, ich werde sie in Stockholm einreichen. Dort wohnen wir inzwischen, wir sind nur kurz in Finnland, weil Samulis Mutter sechzig wird. Samuli singt in Stockholm im Chor der Königlichen Oper.«
    Hundertmal hatte ich mir die Szene ausgemalt: Karri und ich, nach all den Jahren. In meinen Phantasien war ich allerdings schlanker, elegant frisiert und gut gekleidet. Das Opernfoyer hätte durchaus als Hintergrund gepasst. Und in meinen Tag-träumen war ich diejenige, die den Mann ihres Lebens an der Seite hatte,

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